TDW – Kompetenz aus Schrobenhausen

16/02/2021

Interview mit Thomas Malenke. Er ist seit dem 1. November 2019 Geschäftsführer der TDW GmbH.

Schrobenhausen gilt als ein bedeutender Entwicklungs- und Fertigungsstandort der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie in Deutschland. Der MBDA-Standort besticht durch ein technologiebestimmendes Ranking im obersten Bereich, mit dem das MBDA-Tochterunternehmen TDW GmbH seit Jahrzehnten auf das Engste verwoben ist. wt analysiert einige hier vertretene Kompetenzen und wirft einen Blick auf die Zukunftsfähigkeit des europäischen Marktführers im Bereich Gefechtskopftechnologien und Wirksysteme.

Thomas Malenke

Schlaglichter des Erfolgs

Die TDW Gesellschaft für verteidigungstechnische Wirksysteme mbH am Standort der MBDA Deutschland in Schrobenhausen ist mit der Entwicklung, Fertigung und Wartung von Gefechtsköpfen und Wirksystemen sowie dazugehörigen Komponenten beschäftigt. In diesem Bereich gilt die TDW heute als europäischer Marktführer. Seit Anfang November 2019 leitet Thomas Malenke als Geschäftsführer das 100%ige Tochterunternehmen der MBDA Deutschland GmbH. Malenke, der zuvor unterschiedliche Führungspositionen bei MBDA Deutschland und der ebenfalls am Standort Schrobenhausen ansässigen COMLOG GmbH besetzte, sagte bei einem Gespräch mit wt Ende Juli, dass die Entwicklungsarbeiten über die Jahre zu Technologieführerschaften in verschiedenen Bereichen führten.

wt: In welchen Bereichen der Entwicklung von Wirksystemen sieht sich die TDW innerhalb des MBDA-Konzerns gut aufgestellt?  

Malenke: Die TDW deckt sämtliche relevante Technologiefelder im Bereich Wirksysteme ab – von klassischen Splitter- und Hohlladungsgefechtsköpfen über Penetratoren bis hin zu modernen Multieffektgefechtsköpfen. Das Produktportfolio der TDW ist dadurch nicht auf eine Domäne beschränkt. Wir fertigen Gefechtsköpfe, die in See-, Land- und Luftzielflugkörpern sowie in Torpedos verwendet werden. Durch Fähigkeiten wie diese sind wir nicht nur angesehener Partner für unseren Mutterkonzern MBDA, sondern auch für andere europäische Systemhäuser. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Unsere Erfahrung und unser Know-how machen uns zu einem zentralen Baustein der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.

wt: An welchen Projekten können Sie das festmachen?

Malenke: Innerhalb des MBDA-Produktportfolios bestücken wir mehrere „State-of-the-Art“-Lenkflugkörper. Hierzu zählen unter anderem die Waffensysteme METEOR oder TAURUS. Das speziell für TAURUS von der TDW entwickelte intelligente Zündsystem PIMPF (Programmable Intelligent Multi-Purpose Fuze) ist einzigartig. Mit dem High-Tech-Penetrator und dem Zündsystem ist es möglich, durch verschiedene Ebenen eines Bunkers einzudringen und die Ladung sogar im vorher definierten Stockwerk zur Wirkung zu bringen.

Die aktuellen NSM-Lenkflugkörper des norwegischen Unternehmens Kongsberg sind ebenfalls mit einem Gefechtskopf der TDW bestückt. Dies gilt auch für die zukünftigen NSM-Lenkflugkörper der Deutschen Marine.

Ein weiteres Beispiel ist der RBS15-Lenkflugkörper, der gemeinschaftlich von Diehl und Saab hergestellt wird. Auch dieser Lenkflugkörper, von dem die Bundeswehr jüngst 160 weitere Exemplare bestellt hat, verfügt über einen Gefechtskopf der TDW. Darüber hinaus sind wir optimistisch, dass wir eine Beauftragung von Diehl für die Entwicklung und Herstellung des Gefechtskopfes für IDAS erhalten werden. Aus meiner Sicht kann eine Beauftragung der Ausgangspunkt für eine noch engere Zusammenarbeit zwischen der TDW und Diehl sein. Wir können damit Synergien für die gesamte Lenkflugkörper-Industrie schaffen.

Am MBDA-Standort Schrobenhausen hält die TDW alle notwendigen Genehmigungen zum Umgang mit Sprengstoff (HE): Sprengtests mit bis zu 50 kg HE und Lagerung von bis zu 300 Tonnen HE.

wt: Gibt es Grund zur Sorge, wenn wichtige deutsche und europäische Beschaffungsvorhaben in Anbetracht der Krise aufgegeben oder zeitlich „auf die lange Bank“ geschoben werden müssen?

Malenke: Wenn wir in Deutschland technologische Schlüsselkompetenzen erhalten wollen, dann erfordert das finanzielle Mittel. Konkret heißt das, es sind kontinuierliche Neuentwicklungen und Neubeschaffungen erforderlich. Das ist nicht zuletzt auch deswegen notwendig, um unseren Spezialisten die Möglichkeit zu geben, sich mit neuen Technologien zu beschäftigen. Die Krise darf nicht dazu führen, dass Deutschland und Europa technologisch den Anschluss verlieren. Aktuell gibt es zwar keinen akuten Grund zur Sorge, aber den Entscheidern sollte bewusst sein, dass eine einmal verlorene Kompetenz nicht ohne weiteres wiedererlangt werden kann.

wt: Sie sprechen von Spezialisten, die bei der TDW tätig sind. Über welche Expertise verfügen sie?

Malenke: Die Kompetenz der TDW entstand über Jahrzehnte lang und ist in ihrer Form in Deutschland und Europa einzigartig. Unter anderem resultiert diese aus unserer 60-jährigen Geschichte, in der sich unsere Mitarbeiter außergewöhnliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Gefechtskopfsysteme aneignen konnten. Bei uns sind alle wissenschaftlichen Disziplinen vertreten. Hierzu gehören Physiker, Chemiker, Maschinenbauer, Elektrotechniker und andere Spezialisten, die von uns intensiv und lange in den Bereich Wirkmittelsysteme eingearbeitet werden. Von besonderer Bedeutung sind zudem unsere gewerblichen Facharbeiter, die wie keine anderen den Umgang mit Spreng- und Explosivstoffen beherrschen. Insgesamt arbeiten bei uns derzeit rund 150 MitarbeiterInnen, deren Kompetenz in Europa seinesgleichen sucht. Dies zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass wir seit unserem Bestehen mehr als zwei Millionen Wirksysteme hergestellt haben.

wt: Wie beurteilen Sie die deutsch-französische Rüstungszusammenarbeit? Geben Ihnen die Erfolge der zurückliegenden Jahrzehnte nicht Grund zur Hoffnung, bei den in den kommenden Jahren anstehenden Projekten auf bewährte Strategien zurückgreifen zu können?

Malenke: Die TDW ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der MBDA Deutschland, die wiederum Teil des europäischen Gemeinschaftsunternehmens MBDA ist. Besonders die bis heute zwischen Frankreich und Deutschland gewachsene Rüstungszusammenarbeit bildet sich im Konzern deutlich ab und setzt bis heute Akzente in vielen Bereichen der Lenkflugkörpertechnologie.

Zudem muss man wissen, dass die TDW ihren Ursprung in der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu Hohlladungsgefechtsköpfen in den 1960er Jahren hatte, lange bevor über einen europäischen Hersteller von Lenkflugkörpern nachgedacht wurde. Umso schmerzlicher ist es für uns, dass wir, abgesehen von Mistral, an keinem weiteren französischen Programm beteiligt sind. Die restriktive Exportpolitik der Bundesregierung ist sicher ein wesentlicher Faktor dafür. Sie ist mit den Vorstellungen der französischen Regierung nur schwer in Einklang zu bringen. Da wir sehr stark international ausgerichtet sind, betrifft uns das stärker als andere Unternehmen in der Branche. Es ist daher unser strategisches Ziel, wieder in ein deutsch-französisches Programm zu kommen. Ich begrüße daher die zunehmende europäische Kooperation sowie Harmonisierung der Exportpolitik. In Frankreich erwartet man jedoch ein hinreichendes Maß an Verlässlichkeit, wenn es um die Exportfreigabe eines deutsch-französischen Programmes aus Deutschland geht.

wt: Dass der zukünftige Einsatz von Wirkmitteln weiteren Veränderungen unterliegt, ist nicht von der Hand zu weisen. Stichwort Gefechtsköpfe mit skalierbarer Wirkung. Wie ist der Bedarf aus Sicht der TDW einzuordnen? Wo steht das Unternehmen im internationalen Vergleich?

Malenke: Nach meiner Einschätzung stößt das Thema Skalierbarkeit hauptsächlich international auf großes Interesse. Neben den operativen Vorteilen der skalierbaren Wirkung ist für unsere Partner insbesondere die Möglichkeit interessant, skalierbare Gefechtsköpfe in bereits bestehende Waffensysteme zu integrieren. Die Technologie kann nicht nur in Lenkflugkörper integriert werden, sondern auch in Gefechtsköpfe von Abwurf- und Artilleriemunition.

Neben skalierbaren Wirksystemen sind insbesondere Multieffektgefechtsköpfe zukunftsweisend. Wenn wir uns das erweiterte Aufgabenspektrum von Streitkräften anschauen, dann sehen wir, dass neben Auslandseinsätzen die Bündnis- und Landesverteidigung wieder an Bedeutung gewonnen hat. Dies erfordert mehr Flexibilität für die Streitkräfte. Multieffektgefechtsköpfe bieten hierfür eine passende Lösung, da mit einem Waffensystem ein breites Zielspektrum bekämpft werden kann: von verstärkter Infrastruktur über den Kampfpanzer bis zur Infanterie.

Derartige Konzepte konnten wir bereits sehr erfolgreich mit Kunden aus Großbritannien umsetzen. So verfügt der Brimstone 3-Gefechtskopf neben dem Tandem-Mode (Anti-Armour Mode) aus Brimstone 2 über einen zusätzlichen Airburst und Emplacement Mode. Damit ist nun neben der effektiven Bekämpfung von Hauptkampfpanzern und gepanzerten Fahrzeugen auch die wirkungsvolle Bekämpfung von leicht- bzw. nicht gepanzerten Zielen sowie Infrastruktur möglich.

Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit den Briten fanden auch Eingang in die Entwicklung des Enforcer-Gefechtskopfs, der zukünftig bei den Spezial- und spezialisierten Kräften der Bundeswehr zum Einsatz kommen wird.

Fakt ist, sowohl mit unseren skalierbaren Wirksystemen als auch mit unseren Multieffektgefechtsköpfen setzen wir internationale Maßstäbe.

Ein zentrales Merkmal der TDW ist die Fähigkeit, Innovationen zu schaffen. Hierfür beschäftigt die TDW Spezialisten aus einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen, die mit viel Aufwand zu Experten im Bereich komplexer Gefechtskopfsysteme weitergebildet werden.

wt: TDW ist nicht nur im Verteidigungsbereich tätig, sondern auch im zivilen Bereich ein gefragter Partner. Was hat die TDW zu bieten was andere Unternehmen nicht bieten können?

Malenke: Die Infrastruktur am Standort Schrobenhausen ist definitiv ein wesentlicher Baustein für unseren Erfolg. Wir nutzen diese bereits seit den 1950er Jahren und haben insbesondere in den letzten Jahren verstärkt in sie investiert. Neben der Auslegung, der Entwicklung und der Fertigung haben wir am Standort Schrobenhausen auch die Genehmigung, Wirkmittel zu testen. Wir haben hierfür ein eigenes Testgelände, das von besonders geschulten Mitarbeitern betrieben wird. Auf diesem Testgelände dürfen wir mit bis zu 50 kg hochexplosiven Sprengstoff Tests durchführen. Mit dieser Kompetenz sind wir ein begehrter Partner – nicht nur im Bereich der Verteidigungsindustrie. Zunehmend sehen wir ein Interesse der Bundeswehr an dieser Fähigkeit, was zu einer Vielzahl an Studien und Versuchen bei uns in Schrobenhausen geführt hat.

Seit mehreren Jahrzehnten sind wir zudem exklusiver Partner der Automobilindustrie. So genannte Sonderschutzfahrzeuge, wie sie zum Transport von Spitzenpolitikern vorgesehen sind, werden bei uns getestet und zertifiziert. Aufgrund der besonderen Möglichkeiten, die wir an unserem Standort haben, werden wir im kommenden Jahr auch erstmals das zentrale Branchentreffen des Bereichs Sonderschutz, das so genannte Security Forum 2021, bei uns in Schrobenhausen mit ausrichten. Wir erwarten neben Spitzenvertretern aus der Industrie, den Sicherheitsbehörden und den Streitkräften auch den bayerischen Innenminister, Herrn Joachim Herrmann, der als Schirmherr der Veranstaltung auftreten wird. Dies nehmen wir als Beleg dafür, dass die Möglichkeiten, die uns unser Standort bietet, in weiten Teilen einzigartig sind.

wt: Welche Märkte sind für die TDW von besonderer Bedeutung? In welchen Bereichen sehen Sie Exportpotenzial?   

Malenke: Die TDW sieht sich als Marktführer für komplexe Gefechtskopfsysteme in Europa. Deutschland ist für uns als Heimat- und Referenzmarkt von besonderer Bedeutung. Insofern ist uns insbesondere die Ausrüstung unserer Soldaten besonders wichtig. Unsere Gefechtsköpfe garantieren schließlich den Durchhaltefähigkeit unserer Soldaten im Einsatz. Dennoch ist die Beschaffung durch die Bundeswehr seit vielen Jahren nicht mehr ausreichend, um die Auslastung unserer Mitarbeiter sicherzustellen.

Der Export ist für uns von zentraler Bedeutung. Hierfür sind wir nicht zuletzt aufgrund unserer innovativen Technologien gut aufgestellt. Unter anderem sehen wir sogar Wachstumspotential durch einen Markteintritt in den USA. Wenngleich die Hürden hierfür groß sind, so sind die ersten Signale, die wir von unseren Partnern aus den USA erhalten haben, sehr vielversprechend.

Aber auch unsere bisherigen Partner im Ausland schätzen die Zusammenarbeit mit uns sehr. „Made in Schrobenhausen“ gilt bei unseren Kunden dabei als Gütesiegel, mit dem sie typisch deutsche Tugenden wie Verlässlichkeit und Gründlichkeit verbinden.

Wir definieren uns zudem als klassisches mittelständisches Unternehmen, das sich insbesondere durch Flexibilität und die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, kennzeichnet. Eine besondere Problemlösung konnten wir beispielsweise unseren Partnern aus Großbritannien bieten. Im Rahmen der Kampfwertsteigerung der von BAE gefertigten Torpedosysteme Stingray und Spearfish, standen die Briten vor der Herausforderung, einen sehr insensitiven Sprengstoff einzusetzen, der über eine vergleichbare Leistung verfügt. Uns gelang es unter Einsatz eines besonders insensitiven Sprengstoffes sogar, die Masse des Wirkmittels deutlich zu reduzieren und dennoch eine signifikante Leistungssteigerung zu erzielen. So konnten wir durch die Optimierung der Wirkmittelzusammensetzung dieser bei der Royal Navy im Dienst befindlichen Torpedos die Durchsetzungsfähigkeit und zugleich die Sicherheit der jeweiligen Uboote erhöhen.

Dieses und andere Beispiele zeigen mir, dass wir technologisch gut aufgestellt sind. Was ich mir jedoch wünschen würde, wäre ein politischer und rechtlicher Exportrahmen, der uns hilft, als verlässlicher Partner aufzutreten.

wt: Herr Malenke, herzlichen Dank für das Gespräch!

Stefan Nitschke

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