Interview mit Frau Dr. Sigrid Nikutta. Sie ist seit dem 1. Januar 2020 Vorstand Güterverkehr der Deutschen Bahn AG und Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG.
Die Bundeswehr transportiert Material und Gerät in großem Umfang und auf unterschiedliche Weise. Dies erfolgt nicht nur im regulären Grundbetrieb im Inland, sondern gilt auch für Übungen, im Zusammenhang mit dem Host Nation Support (HNS) sowie für Einsätze und einsatzähnliche Verpflichtungen. Die Neuorientierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung bewirkt, dass die Bundeswehr auf sichere Transportkapazitäten setzt, mit denen es gelingt, Material, Gerät und große, schwere Fahrzeuge schnell, pünktlich und in optimalem Zustand an unterschiedlichste Ziele zu bringen. Der Schienentransport bildet hierbei eine tragende Säule in der Logistik der Bundeswehr. Der Kunde will heute alles aus einer Hand, sagt Frau Dr. Sigrid Nikutta im Gespräch mit wt. Die Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG und Vorstand Güterverkehr der Deutschen Bahn AG betont, dass die DB Cargo in 17 europäischen Ländern aktiv ist. Sinn und Zweck eines im Dezember 2019 zwischen der Bahn und der Bundeswehr abgeschlossenen Rahmenfrachtvertrages für den internationalen Schienentransport ist es, hohe Verlegegeschwindigkeiten bei kurzer Reaktionszeit sicherzustellen. Hiervon ist insbesondere die Nato-Speerspitze – VJTF – betroffen.
wt: Frau Dr. Nikutta, wie lautet das Portfolio an logistischen Produkten, das die Deutsche Bahn als bundeseigener Eisenbahnkonzern ihrem wichtigsten militärischen Kunden, der Bundeswehr, bereitstellt?
Dr. Nikutta: Wir bieten wirklich die komplette Bahnlogistik in ganz Europa an. Unsere Services für den Kunden Bundeswehr gehen deutlich über den reinen Schienentransport hinaus. Das geht von der Bereitstellung der Wagen, Abholung der Güter oder der Fahrzeuge, die verladen werden sollen bis hin zur Verladung und den Grenzformalitäten. Wir bieten das Rundumpaket an, das dann bedarfsgerecht und individuell für die jeweilige Situation zusammengebaut ist. Wir haben einzelne Module, die wir standardmäßig anbieten. Bei DB Cargo haben wir schon seit Jahren ein Team Militärlogistik in unserem Kundenservice-Zentrum in Duisburg, das genau darauf spezialisiert ist und in engem Kontakt mit den Verantwortlichen der Bundeswehr steht.
wt: Wie kommt ein solches „Rundumsorglospaket“ beim Endkunden an?
Dr. Nikutta: Sehr gut! Unsere Kunden schätzen es, wenn sie alle Leistungen rund um ihren Transport aus einer Hand bekommen. Wir verfügen über langjährige Erfahrungen, wenn es darum geht, für Kunden komplexe Logistikketten zu steuern. Wir bieten unsere Leistungen aber nicht nur der Bundeswehr, sondern auch anderen Streitkräften, wie z. B. aus den Niederlanden, Belgien, England, Italien, Frankreich oder den USA an. Sie nutzen unsere Leistungen als Bahnlogistiker in unterschiedlicher Art und Weise. So sorgen wir nicht nur für den Transport auf der Schiene, sondern auch für den Vor- und Nachlauf von Fahrzeugen, Panzern und nicht rollendem Material auf der Straße. Auch erbringen wir für unsere Kunden Umschlagsleistungen an den Grenzen von Normal- auf Breitspur oder sorgen in Häfen für den Umschlag von der Schiene auf das Schiff oder die Straße. Bei Bedarf kümmern wir uns neben der Sicherung solcher Transporte auch um die Versorgung der begleitenden Soldaten und um die Bewachung von Konvois, z. B. bei bestimmten Munitionstransporten.
wt: Der Bedarf an modernen Logistikdienstleitungen sollte sich in den kommenden Jahren infolge der Wiederausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung weiter verstärken. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Dr. Nikutta: Wir stehen hier im engen Dialog mit dem Bundesministerium der Verteidigung, wie wir als DB Cargo dazu beitragen können, die Bundeswehr bei den vor ihr liegenden Herausforderungen mit unserem Know-how zu unterstützen. Hier zahlt sich die langjährige vertrauensvolle Partnerschaft aus. Wir haben schon in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass wir für die Bundeswehr ein verlässlicher Partner sind. So etwa im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) im Jahr 2019, die unter der Verantwortung der Bundeswehr stand.
wt: Sie hatten es angesprochen, die Mobilität über die Schiene über große Distanzen ist ein großes Thema – sicherlich auch über die deutschen Grenzen hinaus. Wie beurteilen Sie die zukünftige Entwicklung mit Blick auf Ihre Angebote für große Distanzen?
Dr. Nikutta: Ich sehe hier gute Entwicklungschancen, denn die Schiene spielt beim Transport von Gütern über große Distanzen ihre Stärken aus. Und hier haben wir als DB Cargo mit unserem europäischen Netzwerk einen großen Vorteil, denn viele der Militärtransporte verlaufen grenzüberschreitend. In Zukunft wird eine schnelle Reaktionsfähigkeit noch mehr an Bedeutung gewinnen. Damit das gelingt, müssen gerade für Sendungen im Militärbereich, die zu mehr als 85% aus Lademaßüberschreitungen bestehen, im Vorfeld Konzepte entwickelt werden, damit im Ernstfall alle für die Durchführung solcher Transporte benötigten Ressourcen bereitstehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, das kostet Geld. Deswegen ist es eine große Herausforderung, die Politik davon zu überzeugen, für eine „Standby-Lösung“ die Mittel bereit zu stellen.
wt: Können Sie denn auf mögliche neue Bedarfe der Bundeswehr rasch reagieren?
Dr. Nikutta: Wir haben schon in der Vergangenheit gezeigt, wie flexibel wir auf neue oder gestiegene Bedarfe unserer Kunden reagieren. Was konkret die Bundeswehr betrifft: Je enger und intensiver der Austausch ist, desto schneller erfüllen wir neue Anforderungen. Das fängt schon bei der Beschaffung und Ausstattung von militärisch genutzten Fahrzeugen an. Beispielsweise, ob Militär-Fahrzeuge verlegefähig sind und ein Transport auf der Schiene möglich ist. Auch in Sachen Standortentscheidung ist eine enge Abstimmung mit der Bundeswehr notwendig, z. B. was die Orte für den Schienenumschlag angeht. Darüber hinaus investieren wir kontinuierlich in die Modernisierung unserer Flotte. Beispielsweise fast 60 Mio. Euro in neue Begleiterwagen und 100 Spezial-Flachwagen mit integrierten Ladungssicherungsmittel. Ebenso treiben wir die Digitalisierung unserer Flotte voran. Zum Jahresende sind all unsere Wagen mit GPS ausgestattet.
wt: Wie sieht die Vermarktungsstrategie gegenüber dem Kunden Bundeswehr aus?
Dr. Nikutta: Im Gegensatz zu anderen Kunden vermarkten wir unsere Services und Dienstleistungen nicht aktiv an die Bundeswehr. Wir haben hier eine besonders vertrauensvolle Kundenbeziehung. Was konkret beauftragt wird, ist immer eine Abwägung zwischen dem, was der Kunde, in diesem Fall die Bundeswehr selbst leisten kann und was sie zusätzlich zur Durchführung der Leistung brauchen. Genau darüber sprechen unsere Experten aus dem Team Militärlogistik mit ihren Ansprechpartnern bei der Bundeswehr. Gemeinsam suchen sie nach den besten Lösungen und bieten dann die entsprechenden Leistungen an – mit allem, was dazu gehört.
wt: Vielen herzlichen Dank, Frau Dr. Nikutta, für das gute Gespräch bei Ihnen in Mainz.
Zur Person – Dr. Sigrid Nikutta
1996 | Leiterin Fortbildung, DB AG
2001 | Leiterin Personal, DB Cargo AG
2007 | Leiterin Ganzzugverkehre, DB Cargo AG
2010 | Vorstand Produktion von DB Cargo Polska
2010 | Vorstandsvorsitzende und Vorstand Produktion der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
Seit Januar 2020 | Vorstand Güterverkehr der Deutschen Bahn AG und Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG