Der Weg zur Pandemiehilfe in Portugal aus Sicht Chef 1. Kompanie Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst
Portugal wurde Anfang 2021 besonders stark von der Corona-Pandemie getroffen. Insbesondere die mutierten Varianten des Virus ließen Infektionszahlen und vor allem die Zahlen der Intensivpatienten in die Höhe schnellen. Diese Entwicklung veranlasste die portugiesische Gesundheitsministerin Marta Temido dazu, am 25. Januar ein Hilfeersuchen die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu stellen. Bereits nur einen Tag später flog ein Erkundungsteam des Zentralen Sanitätsdienstes nach Lissabon. Parallel zur Auswertung der Erkundungsergebnisse erhielt das Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“ (Kdo SES) in Leer am 29. Januar 2021 den Vorbefehl, sich auf einen möglichen kurzfristig befohlenen Einsatz vorzubereiten. Am Folgetagerhielten 26 Sanitätssoldatinnen und – soldaten den Befehl nach Leer zu verlegen. Schon am Nachmittag des 31. Januar wurde das designierte Einsatzkontingent Pandemiehilfe Portugal beim Leitverband in Leer zusammengezogen. Nachdem die politische Entscheidung für den Hilfseinsatz in Portugal am 1. Februar gefallen war, verlegte das kleine Einsatzkontingent mitsamt der bereitgestellten Materialhilfe und in Begleitung des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, von Wunstorf aus nach Lissabon.
Vorbereitung und Organisation
Als dem Verband des Sanitätsdienstes, der speziell für schnelle und weltweite Einsätze ausgebildet und ausgestattet ist, wurde dem Kdo SES die Funktion des Leitverbandes für das Erstkontingent übertragen. In routinierter und enger Abstimmung mit der übergeordneten Kommandobehörde, dem Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung in Weißenfels als Leitkommando, stellten die beiden Lagezentren anhand der möglichen Einsatzoptionen die erforderlichen Personal- und Materiallisten zusammen. Schon frühzeitig wurden die Einheiten und der Stab Kdo SES, durch den Kommandeur des Verbandes Oberstarzt Dr. Jens-Peter Evers, über den möglichen Auftrag und seine Absicht in Kenntnis gesetzt. Bereits am 29. Januar erfolgte die erste Befehlsausgabe durch den Kommandeur. Binnen kürzester Zeit galt es, einen neuen Auslandseinsatz von Grund auf zu planen und anschließend auch im Einsatzland zu führen. Schon in dieser Phase wurde deutlich, dass sich dieser Einsatz von anderen vorgeplanten Einsatzoptionen unterscheiden würde.
Bis zur Verlegung in das Einsatzland galt es, die Gliederung und Führung des Kontingentes auszuplanen. Entsprechend der Erkundungsergebnisse musste so viel medizinisches Fachpersonal wie möglich eingeplant werden. Die Führungsgruppe hingegen sollte mit so wenig wie möglich Personal bei möglichst breitem Fähigkeitsprofil auskommen. Oberstarzt Dr. Evers als designierter Kontingentführer beauftragte seinen Chef 1. Kompanie mit der Zusammenstellung des Führungselements. Alle Führungsgrundgebiete wie Personalführung, Planung und Führung, Materialbewirtschaftung, Nachschub sowie Führungsunterstützung standen hierbei im Lastenheft. Neben diesen Fähigkeiten musste im Hinblick auf den Auftrag besonderes Augenmerk auf die Aspekte der Präventivmedizin, vor allem Präventionsmaßnahmen gegen eine Corona-Infektion des Einsatzpersonals, aber auch dem zu erwartenden hohen Medieninteresse gelegt werden. Die Ausplanung eines kleinen Hygieneteams und eines Pressestabsoffiziers in der Führungsgruppe waren hier die logische Konsequenz. Den Nukleus des Führungselements bestand wiederum aus vier Soldatinnen und Soldaten der 1. Kompanie des Kdo SES.
Aufgrund der politischen Entscheidung, schnellstmögliche Unterstützung bereitzustellen, wurde auf das ständig bereitgehaltene Kräftedispositiv zur sanitätsdienstlichen nationalen Risiko- und Krisenvorsorge zurückgegriffen. Den Nukleus dieses Kräftedispositivs stellte mit 14 Soldatinnen und Soldaten das Kommando SES, einschließlich des Kommandeurs des Kdo SES in der Funktion als Kontingentführer für den Einsatz. Die restlichen zwölf Angehörigen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr kamen aus verschiedenen Dienststellen in ganz Deutschland: aus dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, dem Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung, dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm, Berlin und Hamburg sowie den Sanitätsunterstützungszentren Köln-Wahn und München. In den meisten Fällen lagen knapp 20 Stunden zwischen der Alarmierung und dem Abmarsch nach Leer.
Zusammenziehen des Personals
Bei der Zusammenziehung des Personals konnte sich der Verband auf vorhandene Verfahren anderer Einsatzoptionen abstützen. Am Heimatstandort des Kdo SES im ostfriesischen Leer erfolgte unmittelbar nach dem Eintreffen die Einschleusung im vorbereiteten Sammelraum: Erfassung der Personalunterlagen, medizinische Untersuchung, Impfen und Einweisung in den möglichen Auftrag. Die beide Folgetage wurden unter Federführung der 1.Kompanie für Ausbildung im Rahmen der Behandlung von schwersterkrankten COVID Patienten, der aktuellen Entwicklung der CORONA Situation in Lissabon und den Umgang mit der persönlichen Schutzausstattung genutzt. Der Schwerpunkt der Unterrichtungen legte der Kommandeur auf den Schutz des Personals vor eigener Ansteckung mit dem SARS-CoV-Virus. Darüber hinaus wurden noch Unterrichtungen von Medienvertretern und eine Länderkunde durchgeführt. Am Tag vor der Abreise wurde die persönliche Ausrüstung bei Bedarf ergänzt und abschließend verpackt. Zum gleichen Zeitpunkt waren der Materialbewirtschaftungszug und der Transport- und Umschlagzug der Einheit mit der Vorbereitung und Verbringung des gesamten Einsatzmaterials aus Leer beauftragt. Individuelle Schutzausstattung, medizinisches Verbrauchsmaterial, IT-Ausstattung und Gepäck wurden nach den Bestimmungen der Luftfahrtsicherheit verpackt und verbracht. In der sehr kurzen Vorbereitungszeit vor der Verlegung musste die Versorgungs- und Unterstützungskompanie des Verbandes ihre Fähigkeiten koordiniert einsetzen, um die Vielzahl paralleler Aufträge zu meistern: Aufnahme und Herstellen der Verlegebereitschaft sämtlichen Personals und Materials, Ausplanung des Führungselements, Abstellung von Personal einschließlich Übergabe der Dienstgeschäfte, Entwickeln missionsspezifischer Meldeverfahren, Personaleinteilungen, Materialzusammenstellung, Verbindungsaufnahme mit nationalen wie internationalen Partnern vor Ort in Lissabon sowie Verbindunghalten zu Lagezentren verschiedener Bundeswehrdienststellen.
Parallel wurden durch das Sanitätsregiment 1 in Weißenfels Hilfsgüter, u.a. 50 Beatmungsgeräte und 150 Injektionsautomaten nach Wunstorf transportiert. Dieses Material wurde später unabhängig vom personellen Unterstützungseinsatz dem portugiesischen Gesundheitsministerium übergeben.
Verlegung und Herstellen der Arbeitsbereitschaft
Am Mittwoch, 3. Februar 2021 gegen fünf Uhr morgens, verließ das Einsatzkontingent den Heimatstandort Leer im Landmarsch nach Wunstorf. In Begleitung des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner und des Inspekteurs der Luftwaffe Generalleutnant Ingo Gerhartz, hoben Personal und Material um elf Uhr mit einem A400M der Luftwaffe nach Lissabon ab. Sowohl vor Abflug als auch bei Ankunft in Lissabon war das Medieninteresse immens, es fanden Pressekonferenzen mit Repräsentanten aus Militär und Politik statt. Der Transport vom Flughafen in die Unterkunft wurde durch Kameraden der portugiesischen Marine sichergestellt. Von Anfang an unterstützte ein Verbindungsoffizier zum portugiesischen Militär bei jeglichen Transport- und Verpflegungsabsprachen. Als Unterkunft wurde durch Portugal das Hotel Sao Bento im Süden der Stadt bereitgestellt. Da hier kein größerer Tagungs- oder Seminarraum verfügbar war, musste kurzerhand ein weiteres Hotelzimmer als Gefechtsstand umfunktioniert werden. Der vierköpfige Führungstrupp, bestehend aus Spieß, Materialbewirtschaftungsfeldwebel, Stabsdienstsoldat/Kraftfahrer sowie einem Stabsoffizier, richtete sich hier nach festgelegten Verfahren innerhalb kürzester Zeit ein. Erfahrungsschatz und Ausbildungsbreite waren ein entscheidender Faktor in der Auswahl dieses Personals. Besonderes Augenmerk wurde auf das zügige Herstellen der Verbindung zum übergeordneten Lagezentrum des Kdo SanEinsUstg in Weißenfels sowie der Umsetzung eines standardisierten Meldewesens gelegt. Der Überblick über die zur Verfügung stehende Ressourcen, schnelle Einnahme klarer Strukturen und der kontinuierliche Austausch zwischen Gefechtsstand und Kontingentführer, sind entscheidend für ein zu jederzeit klares Lagebild und zielgerichtete Planung. So wurde von Beginn an, ein festgelegtes Format für eine tägliche Lagemeldung des Kontingents nach Deutschland mit entsprechenden entwickelten Antragsformaten genutzt. Im Gefechtsstand wurden jegliche Informationen, Anträge oder Meldungen ausgewertet, aufbereitet und diesem Format zugeführt. Ein klar strukturierter Tagesablauf, mit festen Zeiten und einer effizienten Einteilung der Teams in dem Schichtsystem, waren in einem Umfeld einer ständigen Infektionsbedrohung Von entscheidender Bedeutung. Bei der mitgeführten IT-Ausstattung stütze sich die Führungsgruppe im Wesentlichen auf dienstliche LapTops und Handys ab. Für sämtliche materiellen Forderungen und Beschaffungen aus dem Kontingent heraus war der Materialbewirtschaftungsfeldwebel verantwortlich. Durch die Unterstützung des Militärattaché-Stabes der DEU Botschaft Lissabon, der portugiesischen Armee sowie des DEU Anteil / DDO Lissabon konnten auch bei kurzer Vorlaufzeit Herausforderungen schnell gelöst werden. So wurde schon am zweiten Tag nach der Ankunft bereits ein dringend notwendiges Fahrzeug bereitgestellt. Die Lagerung des eigenen Materials, wie persönliche Schutzausstattungen, OP-Begleitung und verschiedene Verbrauchgüter, erfolgte in einem zweiten Hotelzimmer, nach einem effektiven und ausgeklügelten System. Nach rund 3-4 Tagen hatten sich Struktur und Abläufe im Kontingent und auch zum übergeordneten Lagezentrum gefestigt, und es erfolgte die erste Nachversorgung aus Deutschland. Schon ab der zweiten Woche im Einsatz folgte die Abstimmung mit dem Personal des möglichen Folgekontingentes des Sanitätsregiment 3 aus Dornstadt. Eine Vorbereitung der Übergabe der Dienstgeschäfte in einem äußerst kurzen Zeitfenster war vorzunehmen. Neben aktuellen Fragestellungen zum laufenden Einsatz, konnten insbesondere Themen zur Vorbereitung von Personal und Material des Folgekontingentes besprochen werden.
Alle dargestellten Verfahren galten nur einem Zweck: Der Unterstützung des Personals, welches in der direkten Patientenversorgung auf der übernommenen Intensivstation eingesetzt war. Dieser Zweck konnte vollumfänglich erreicht werden. Allerdings erforderte dies zu jeder Zeit eine hohe Kreativität, Flexibilität sowie Erfahrung des Führungspersonals bzw. des Führungstrupps.
Zusammenfassende Bewertung
Das Kdo SES ist der Verband des Sanitätsdienstes für schnelle und weltweite Einsätze in verschiedensten Einsatzoptionen. Der Verband hat bereits mehrfach eindrucksvoll unter Beweis stellen können, dass er in der Lage ist, auch unter extrem kurzer Vorlaufzeit sanitätsdienstliche Einsatzkräfte für weltweite Missionen aufzunehmen, vorzubereiten und in den Einsatz zu verlegen. Dennoch stellte der Portugal-Einsatz aufgrund des besonderen Szenarios eine Besonderheit dar. Vorgeplante Verfahren, wie sie der Verband z.B. für kurzfristige militärische Evakuierungsoperationen vorhält, konnten an diesen Einsatz angepasst, erweitert und genutzt werden.
Mit der erfolgreichen Nutzung des identischen Personals für Planung und Organisation der Mission sowie tatsächlicher Verlegung in den Einsatz, hat die besondere Befähigung des Verbandes und seine Alleinstellung (Namensgebung) bewiesen. Der große Erfahrungsschatz des Personals, der hohe Ausbildungsstand und die routinierten fachlichen Fähigkeiten von Verband und Einheit, haben die Vorbereitung und Durchführung des Erstkontingentes auf diesem Niveau ermöglicht. Die Soldatinnen und Soldaten des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst haben ihrem Namen alle Ehre gemacht.
Es war eine ganz besondere Mission, deren Auftrag und Merkmale sich nicht beliebig auf andere Einsätze übertragen lassen. Aus militärischer Sicht gab es augenscheinlich keine sichtbare Bedrohung, jedoch war ein enormes Infektionsrisiko für die Kontingentangehörigen und insbesondere für das Fachpersonal der Intensivstation allgegenwärtig. Aus medizinisch-fachlicher Sicht lag die Herausforderung insbesondere auch darin, dass das vorgefundene Patientenklientel hinsichtlich der Erkrankungen von dem Patientenklientel in anderen Auslandseinsätzen unterschied. Die Ausplanung des Hygieneteams als beratendes Element für die Sanitätseinsatzkräfte hat sich mehr als nur bewährt. Für die mit der Vorbereitung, Aufstellung und Verlegung sowie Gestellung des Führungstrupps beauftragten 1. Kompanie des Kdo SES zeigte sich erneut, dass eine Rückbesinnung als gelernte militärische Verfahrensweisen, das konsequenten Anwenden des Führens mit Auftrag sowie die Kenntnis der Absicht der übergeordneten Führung der Schlüssel zum Erfolg ist.