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Neues Radar schließt Schwachstellen in der maritimen Raketenabwehr | Wehrtechnik

Neues Radar schließt Schwachstellen in der maritimen Raketenabwehr

02/06/2021

Die Seestreitkräfte unterliegen einer intensiven Nutzung und bedürfen deshalb einer ständigen materiellen Anpassung an aktuelle und künftige Bedrohungen. Technologien, die die Weiterentwicklung von wichtigen Fähigkeitskategorien besonders bei Überwasserkampfschiffen in den kommenden Jahren bestimmen werden, umfassen neben neuartigen intelligenten Waffensystemen und der Kollaboration von bemannten und unbemannten Plattformen vor allem verbesserte Entdeckungs- und Frühwarnsensoren.

An der internationalen Marineübung „Formidable Shield 2021“ waren 15 Überwasserschiffe aus zehn Nationen beteiligt. In der Mitte die niederländische LCF-Fregatte Zr.Ms. DE ZEVEN PROVINCIËN (F 802). (Foto: Nato/Thales Group)

Ein neuer Bedarf entsteht

Das Spektrum militärischer Bedrohungen hat sich in den zurückliegenden Jahren vergrößert. Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) warnt in einem internen Planungspapier vor einer zunehmenden Bedrohung durch den Machtanspruch und die neuen militärischen Fähigkeiten Russlands und Chinas. Beide Großmächte verfügen über die weltweit größten konventionellen Raketenpotenziale sowie – infolge intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeiten – über ein wachsendes Inventar an Hyperschallwaffen mit großer Reichweite. Deren Verbreitung führt zu potenziellen regionalen Konfliktsituationen, die auch Europa bedrohen. Besonders die Proliferation von Technologien für taktisch-ballistische Flugkörper – kurz TBMs (Tactical Ballistic Missiles) – hat eine globale Dimension erreicht. Einer Einschätzung der Bedrohungslage durch die Nato zufolge werden einige Staaten in Zentral- und Südostasien sowie des Mittleren Ostens bereits zu Beginn des nächsten Jahrzehnts über mehr als 2.200 TBMs mit unterschiedlichen Reichweiten und Gefechtskopftypen verfügen. In dieser Berechnung sind etwa 600 TBMs enthalten, deren Reichweite über 2.500 km betragen wird und die nach neuesten Einschätzungen auch Mitteleuropa bedrohen könnten. Die Arbeiten an Systemen mit größerer Reichweite (über 9.000 km) in Nordkorea bestätigen diese Tendenz.

Zudem ist in den letzten Jahren das Konfliktpotenzial mit Russland „in gefährlicher Weise“ gewachsen. Letzteres entstand im Zuge des Aufbaus eines Raketenabwehrschirms in Europa und durch die Bemühungen der Vereinigten Staaten, entsprechende Abwehrsysteme in Polen und in Rumänien zu installieren. Russland, das sich durch die inzwischen erfolgte Stationierung von Abwehrsystemen selbst bedroht fühlt, da der Einsatzwert von eigenen strategischen Waffensystemen eingeengt würde, reagierte deshalb mit einer weiteren Modernisierung seiner Offensivwaffen. Die aggressiv wahrgenommene Politik Moskaus in der Ukraine und andernorts (Nordpolar- und Ostseeraum) führt bei den europäischen Nato-Staaten zu großer Besorgnis.

Um die Dramatik der weltweit beobachtbaren Proliferationsentwicklung bei TBMs zu verdeutlichen, ist von großer Wichtigkeit, dass viele dieser Angriffsmittel nur sehr schwer mit den zurzeit verfügbaren Luftverteidigungsmitteln zu bekämpfen sind. Hierbei handelt es sich um Submunitionen, die von einem Trägersystem mitgeführt und in großen Höhen als Wiedereintrittskörper ausgestoßen werden können. Als außerordentlich kritisch benennen Nato-Papiere im hohen Machzahlbereich anfliegende TBMs, die wegen ihrer größeren Systemreichweiten und verbesserten Präzision sowie der dramatisch reduzierten Abstrahlungscharakteristiken und der relativ kleinen letalen Bereiche nur sehr schwer bekämpft werden können.

Die technologische Einschätzung der Abwehrmöglichkeiten von Flugkörpern großer Reichweite ist außerordentlich komplex. Richtschnur einer künftigen TBM-Abwehr sind Abstand, Präzision und kurze Reaktionszeiten. Technologisch lassen sich die meisten der heute vorhandenen Abwehrsysteme auf die bereits in den 1960er Jahren begonnenen Entwicklungsarbeiten für eine Raketenabwehr zurückverfolgen, jedoch ist bis heute kein solches System mit den seit langem geforderten extrem hohen Anforderungen an die Zielgenauigkeit in der Lage, vollumfänglich gegen das heute vorhandene TBM-Spektrum zu schützen.

Ebenso wie die Interzeption von TBMs und Wiedereintrittskörpern im exoatmosphärischen Abhaltebereich eine technologische Herausforderung darstellt, ist deren Abwehr im unteren Abhaltebereich nicht unproblematischer, weil mit einer hohen Präzision relativ kleine letale Bereiche an einem TBM (wie die Flugkörperelektronik und die Gefechtsladung) oder bereits abgetrennte und in die untere Abfangschicht gelangte Wiedereintrittskörper bekämpft werden müssen. Hierzu gibt es jedoch nach wie vor keine einheitlichen „Kill“-Kriterien, die eine sichere Identifizierung der Position eines Gefechtskopfes in einem TBM, die Unterscheidung eines anfliegenden TBM-Gefechtskopfes von einem Täuschkörper und die Klassifizierung eines anfliegenden TBM-Gefechtskopftyps ermöglichen könnten.

Die Entdeckungsreichweite des Radarsystems SMART-L MM/N (Multi-Mission/Naval) wird durch neue Software auf bis zu 2.000 km erhöht. (Foto: Thales Group)

Fähigkeitslücken werden beseitigt

Deutschland und die Niederlande planen, entstehende Defizite bei der seegestützten Luftverteidigung durch Fähigkeitsanpassungen bei schiffseigenen Sensoren zu beseitigen. Hierfür hat Thales Group das auf Galliumnitrid (GaN)-Technologie basierende Radarsystem SMART-L MM/N (Multi-Mission/Naval) entwickelt. Hierbei handelt es sich um ein drehendes, vollständig digital gesteuertes AESA-Radar (Radar mit aktiver elektronischer Strahlschwenkung; Active Electronically Scanned Array). In einem typischen TBMD-Szenario könnten damit ausgestattete Überwasserschiffe als sinnvoll in streitkräftegemeinsame Einsätze integrierbare Plattformen für die Gewinnung, Zusammenführung (Fusion) und den Austausch von Sensordaten im Sinne eines so genannten Sensor Netting mit anderen schwimmenden und fliegenden Einheiten genutzt werden. Viele Schiffsklassen benötigen daher in den kommenden Jahren ein umfassendes Update ihrer Sensorik. Hierbei sind insbesondere Schiffsradare in Betracht zu ziehen, die zumeist in den 1990er und 2000er Jahren entwickelt als Systeme der zweiten Generation zunehmend von Obsoleszenzrisiken betroffen sind. Der Austausch ganzer Systemfamilien wird in Betracht gezogen.

Bei der Deutschen Marine sind die drei Fregatten F124 (SACHSEN-Klasse) derzeit mit dem Weitbereichsradar SMART-L (Thales Group) sowie vier fest montierten Antennen des APAR-Multifunktionsradars zur weitreichenden Luftverteidigung ausgerüstet. In Kombination mit der Bewaffnung aus Standard Missile 2 (SM-2) und ESSM (Evolved Sea Sparrow Missile), beide durch den US-amerikanischen Hersteller Raytheon bereitgestellt, verfügen die Schiffe seit ihrer Indienststellung zu Beginn der 2000er Jahre über deutlich erweiterte Wirkmöglichkeiten für einen umfassenden Verbands- und Gebietsschutz bei streitkräftegemeinsamen Aufgaben. Die Radaranlagen sind in Kombination mit dem in Teilen modernisierten Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWES) in der Lage, multiple Ziele gleichzeitig zu entdecken, über mehrere hundert Kilometer zu verfolgen und zeitgleich zu bekämpfen. Die Fähigkeit zu einem umfangreichen Lagebildaufbau konnten die Einheiten mehrfach nachweisen, indem sie in US-amerikanische Flugzeugträger-Kampfgruppen integriert wurden und dort für die Flugabwehr auf Verbandsebene eingesetzt waren.

Die seit annähernd 15 Jahren eingesetzte Technik ist jedoch zunehmend von Obsoleszenzen betroffen. Dies betrifft auch die vier LCF-Fregatten der DE ZEVEN PROVICIËN-Klasse der Königlich Niederländischen Marine, die, wie ihre deutschen Schwesterschiffe, mit einer Radartechnik ausgestattet sind, die der Hersteller Thales Group bei Nutzungsbeginn vor rund 15 Jahren als „wirklich überlegene Technologie“ für die Luftverteidigung auf See beschrieb. Für die Aufgaben bei der erweiterten Raketenabwehr auf See reichen diese Kapazitäten heute jedoch nicht mehr aus.

Deutschland und die Niederlande haben daher Arbeiten aufgenommen, mit denen entstehende Defizite durch Fähigkeitsanpassungen beseitigt werden sollen. Vormals als SMART-L EWC (Early Warning Capability) bezeichnet, handelt es sich bei volldigitalen Radarsystem SMART-L MM/N um eine konsequente Weiterentwicklung des im Einsatz befindlichen SMART L-Radars. Eine Erprobung der neuen Radartechnik erfolgte unlängst während der internationalen Marineübung „Formidable Shield 2021“ vor der Küste Schottlands. Ausgestattet mit der neuen Technologie, stellte die an der Übung beteiligte niederländische LCF-Fregatte Zr.Ms. DE ZEVEN PROVINCIËN (F 802) ihre Zieldaten via Sensor Netting dem Flight IIA-Zerstörer USS PAUL IGNATIUS (DDG 117) bereit, um einen schiffsgestarteten Effektor – Standard Missile 3 (SM 3) – so zu steuern, dass dieser einen ballistischen Flugkörper weit außerhalb der Erdatmosphäre abfing. Das SMART-L MM/N-Radar verfolgte den ballistischen Flugkörper über einen Zeitraum von mehr als 5 Minuten bei Geschwindigkeiten von 3 km pro Sekunde und einer Flughöhe von über 300 km.

Schon im Frühsommer 2017 sprach der Hersteller von einer Reichweitenerhöhung des neuen Radars auf bis zu 2.000 km. Thales Group betonte: „Unser größter Anspruch war es, die Reichweite des Radars zu erhöhen.“ Die Unwägbarkeiten, die bei der frühzeitigen Entdeckung von besonders kleinen und sehr schnellen Luftzielen entstehen, werden durch die „Extended Long-Range“ (ELR)-Technologie „abgefangen“. Mittels der EWC-Upgrades kann das Radar effektiv für eine Frühwarnung gegen ballistische Flugkörper genutzt werden. Jedoch erhält das Radar im Vergleich zum Vorläufer eine auf neuester GaN-Technologie basierende Antennentechnologie, die ihm eine größere Reichweite und die Fähigkeit zur Entdeckung, Identifizierung und Verfolgung von sich sehr schnell bewegenden Luftzielen auch im exo-atmosphärischen Bereich verleiht.

Synergien

Auch die Spanische Marine hat einen Bedarf für moderne AESA-Radartechnik. Sie will ihre nächste Klasse von Multifunktionsfregatten (F110) mit einem neu entwickelten AESA-Radar ausstatten. Das erste Schiff soll um das Jahr 2023 in die Dienstbereitschaft kommen. Der US-amerikanische Hersteller Lockheed Martin und der spanische Konzern Indra haben eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung von AESA-Radaren für zukünftige Überwasserschiffe vereinbart. Hierbei sollen auch internationale Vorhaben (Neubau, Modernisierung) adressiert werden und Schiffsklassen umfassen, die mit dem AEGIS-System ausgerüstet werden. Nach Aussage der beiden Industriepartner sollen solche Schiffsklassen – Fregatten, Zerstörer – von der neuen Technologie profitieren. Lockheed Martin und Indra arbeiten bereits seit 2009 eng zusammen bei der Entwicklung von Schiffsradaren für die Fregatten der Klasse F110. Die Zusammenarbeit geht zurück auf das Jahr 1997, als Indra damit begonnen hatte, Komponenten für das Multifunktionsradar SPY-1D-Radar der F100 Fregatten sowie für die US Navy und fünf weitere Nutzer (darunter Norwegen) zu fertigen.

Autor: Stefan Nitschke

Stefan Nitschke

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