Agenda „Zukünftiges System des Indirekten Feuers“

21/06/2021

Joint Fire Support MissileDer Bedarf der Artillerie für einen intelligenten Lenkflugkörper

Das Kürzel „JFS-M“ markiert eine neue Dimension bei der Modernisierung der Raketenartillerie. Der Joint Fire Support Missile wird von MBDA Deutschland als Option für das zukünftige System „Indirektes Feuer“ entwickelt. Dahinter verbirgt sich ein für die Bundeswehr neuartiges Wirkmittel als Antwort auf die wahrscheinlichen Bedrohungen der 2020er und 2030er Jahre.

Als Trägerfahrzeug soll der MARS II genutzt werden. Der intelligente Lenkflugkörper JFS-M wird für die Fähigkeitserweiterung des „Zukünftigen Systems des Indirekten Feuers“ entwickelt und verwirklicht bei der Raketenartillerie der Bundeswehr die dringend geforderte Reichweitenerhöhung. (Alle Grafiken: MBDA)

Schlüsselfähigkeiten – ein Umdenken ist gefordert

Das Gefechtsfeld der Zukunft wird sich deutlich verändern. Und das nicht nur dadurch, dass es sich teilweise in den Cyberraum verlagert. Die Bedeutung von Wirkung bleibt erhalten. Deren Erscheinungsbild nimmt Einfluss darauf, wie sich die Bundeswehr physisch gegenüber einem „Peer“-Gegner positionieren wird. Schon auf der Zeitachse von 2014 bis heute ist ein Trend zu erhöhter Letalität bei den eingesetzten Waffensystemen der Rohr- und Raketenartillerie erkennbar. Merkmale sind Reichweitensteigerungen bis über 250 km besonders bei Systemen der Raketenartillerie der russischen Landstreitkräfte sowie die Forderung nach einer echten „Sensor-to-Shooter“-Fähigkeit. Letztere bildet sich nicht nur in einer Anzahl von Vorhaben der europäischen Bündnispartner ab. In zunehmendem Maße sind davon auch Waffensysteme betroffen, die von potenziellen Gegnern eingesetzt für die Herstellung von Dominanz auf dem Gefechtsfeld der 2020er Jahre entwickelt wurden. Ein Beispiel ist der bei den russischen Landstreitkräften eingeführte Raketenwerfer 9A52-4 Tornado. Dessen Reichweite (270 km mit neuer Munition) übertrifft schon heute die Reichweiten vergleichbarer Nato-Systeme wie der Mehrfachraketenwerfer MLRS (Multiple Launch Rocket System). Hinzu kommt, dass die auch bei den russischen Streitkräften greifende Digitalisierung und Automatisierung dazu führt, dass viele der bereits in den 1990er und 2000er Jahren in Dienst gestellten und im weiteren Verlauf der 2010er Jahre modernisierten Waffensysteme über eine höhere Präzision verfügen und vernetzt mit anderen Geräteplattformen eingesetzt werden können. Waffensystem-Verbünde führen hier zu der eingangs genannten Dominanz auf dem Gefechtsfeld. Bildgestützte Verfahren für die Navigation und Zielbekämpfung sind hier seit Jahren Standard.

Die Frage nach einer Reichweitensteigerung bei der deutschen Raketenartillerie stellt sich seit einigen Jahren. Die Bundeswehr nutzt derzeit die kampfwertgesteigerte Variante MARS II (Mittleres Artillerieraketensystem) bzw. MLRS-E mit einer in Reichweite und Präzision verbesserten Lenkrakete – GMLRS (Guided Multiple Lauch Rocket System). Mit ihr kann derzeit bis auf eine Kampfentfernung von 84 km gegen Punktziele bei einer Genauigkeit von wenigen Metern gewirkt werden. Die bei der Bundeswehr und auch bei einigen Bündnispartnern eingesetzten Lenkraketen reichen allerdings nicht mehr aus, „einer Bedrohung durch Artilleriewaffen mit übergroßer Reichweite“ zu begegnen, so ein Vertreter aus dem Amt für Heeresentwicklung (AHEntwg). Dieser Tatbestand wirkt umso besorgniserregender, wenn man bedenkt, dass etwa 80% aller ukrainischen Ausfälle im Ukraine-Konflikt durch die weitreichende russische Raketenartillerie verursacht wurden.

Bedrohungsanalyse – Antworten zur Modernisierung der Raketenartillerie

Auf dem Gefechtsfeld der Zukunft kommt der Steigerung von Präzision und Reichweite bei der Artillerie eine größere Bedeutung zu als noch vor wenigen Jahren angenommen. Der Grund ist das seit dem Frühjahr 2014 gewachsene Konfliktpotenzial mit Russland. Hinzu treten weltweit beobachtbare Tendenzen bei den Wirkfähigkeiten über große Reichweiten. Auslöser sind neue Entwicklungen in China, Nordkorea und anderen Staaten in Zentralasien. Waren die militärischen Strukturen im nordatlantischen Verteidigungsbündnis aufgrund der weggefallenen Bedrohung durch die Staaten des Warschauer Vertrages bislang einer tiefgreifenden Umstrukturierung – in einem für Europa einzigartigen Prozess der Entspannung – unterworfen, so verbergen sich hinter dem gewachsenen Konfliktpotenzial mit Russland enorme Gefahren für die Sicherheit des Kontinents. Diese Zeitgrenze markiert einen Paradigmenwechsel bei der Neugestaltung der Bundeswehr im Kontext einer europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsarchitektur, in Zuge dessen sich die deutschen Streitkräfte und damit verbunden auch die Artillerietruppe erneut stärker auf den Einsatz in der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) ausrichten mussten.

Besorgniserregend sind die neuerlichen Bemühungen Russlands, durch Truppenkonzentrationen an der Grenze zur Ostukraine ein gefährliches Bedrohungspotenzial zu schaffen. Schon vor Jahren hatte Moskau damit begonnen, seine militärische Präsenz in der Oblast Kaliningrad, die noch bis vor kurzem als Russlands schwächster Punkt in der Region galt, zu verstärken. Sicher ist, dass Russland dort nuklearfähige Iskander-Kurzstreckenraketen (9M723) stationiert und die vorhandenen Luftverteidigungssysteme – S-300 – durch moderne IT-Systeme und -architekturen für Datenhaltung und -austausch verstärkt hat. Somit ergeben sich auch Hinweise darauf, dass Moskau seine Anstrengungen weiter verstärken wird, strategisch wichtige Gebiete so auszustatten, dass einem potenziellen Gegner der Zugang zu ihnen verwehrt werden würde. So hat Russland neuesten Berichten zufolge in der Oblast Kaliningrad das modernere Luftabwehrsystem S-400 stationiert. Damit könnten, so Nato-Quellen, „No-go“-Areale eingerichtet werden. Hierbei kommen weitreichende Luftverteidigungssysteme wie S-400, mobile landgestützte Abschussplattformen für Marschflugkörper und Anti-Schiffs-Lenkflugkörper sowie Maßnahmen der Elektronischen Kriegsführung zum Einsatz. Mit letzteren könnten multinationale Führungsstäbe der Nato auf dem Territorium der baltischen Staaten und in Polen nachhaltig gestört, wenn nicht gelähmt werden. Das Joint Air Power Competence Centre (JAPCC) in Kalkar (Niederrhein) warnt vor einer weiter voranschreitenden Robustheit der neuerdings nicht nur in der Enklave Kaliningrad, sondern auch anderswo im Westlichen Militärbezirk dislozierten Luftverteidigungssysteme. Nur solche Systeme sind in der Lage, als „Standalone“-Systeme oder eingebunden als Komponenten einer vernetzten Luftverteidigungsarchitektur zu agieren. In so genannten Anti-Access/Area Denial-Bereichen zusammengefasst, stellen sie einen deutlichen Bedrohungszuwachs dar.

Unter dem Kürzel „A2/AD“ versteht die Nato ein Bedrohungsszenario, zu dessen Überwindung sie selbst nach Aussagen des NATO Command and Control Centre of Excellence (NATO C2CoE) nicht über eigene Mittel verfügt. Ein Nato-Bericht vom November 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass Russland derzeit ein „umfassendes militärisches Modernisierungsprogramm vorantreibt, um damit seine A2/AD-Kapazitäten in Kombination mit maritimer Projektion [seegestützte Marschflugkörper] und nuklearer Abschreckung weiter zu verbessern.“

Betroffen davon sind auch die meisten Waffensysteme der russischen Raketenartillerie, die schon jetzt mit ihrem vielfältigen Munitionsmix über Reichweiten verfügt, mit denen es möglich ist, gegnerische Aktivitäten im Zuge der Zerschlagung von „No-go-Arealen“ zu vereiteln. Vergleichbare Entwicklungen werden für die Rohrartillerie der russischen Landstreitkräfte angenommen. Im Kontext einer Reichweitensteigerung bei der Rohrartillerie werden auch Teile der belarussischen Landstreitkräfte mit Unterstützung Moskaus in der Art modernisiert, dass sie in die Lage versetzt werden, mit reichweitengesteigerter (rocket-assisted) Munition „eine merkliche Verbesserung bei Reichweite [bis auf 40 km] und Präzision“ zu erreichen, so der Ergebnisbericht in der Zusammenfassung vom November 2020 weiter.

Auch die Modernisierung der belarussischen Raketenartillerie schreitet mit Unterstützung Russlands voran. In Belarus entwickelte Systeme wie der ab Mitte 2019 eingeführte modernisierte Mehrfachraketenwerfer Polonez-M verfügen mit verbesserter Munition (300 mm) inzwischen über eine Kampfreichweite von annähernd 300 km. Technische Unterstützung gewährte offensichtlich die Volksrepublik China.

Bei einem technologisch vergleichbaren oder höherwertig ausgestatteten Gegner wird Indirektes Feuer als die massivste Bedrohung für die eigenen Landstreitkräfte angesehen, so das AHEntw. Ein Vergleich, z. B. mit den russischen Landstreitkräften als potenzieller Gegner, offenbart einen Nachteil bei den derzeit in der Bundeswehr vorhandenen Wirkmitteln der Raketenartillerie, nämlich eine nicht ausreichende Reichweite. Dadurch wird die eigene Verwundbarkeit massiv erhöht. Nach Ansicht der Nato kommt in diesem Zusammenhang A2/AD auf russischer Seite eine Schlüsselfunktion deswegen zu, weil die Kombination von verschiedenen offensiven und defensiven Einsatzmittel weitere Fähigkeiten, wie etwa Cyberattacken, beinhalten könnte.

Lösungsweg – Was ist zu tun?

Bis heute steht der Raketenartillerie der Bundeswehr – und den meisten europäischen Nato-Partnern – als Hauptwaffensystem der Mehrfachraketenwerfer MLRS zur Verfügung. Durch den völkerrechtlichen Vertrag von Oslo 2010 zur Ächtung von Streumunition bleibt bei der Bundeswehr der Einsatz auf die GMLRS-Rakete (ausgestattet mit einem Präzisionsgefechtskopf Unitary) beschränkt; die bis dahin genutzten Bomblets und Submunitionen für den Bekämpfung von Flächenzielen und zur Sperrung/Abriegelung von großen Geländebereichen mussten aufgegeben werden. Durch den Wegfall der Bombletraketen und dem daraus entstehenden Fähigkeitsverlust wurden in den nachfolgenden Jahren unterschiedliche Maßnahmen eingeleitet, um den Raketenwerfer MARS für den Verschuss von GMLRS-Raketen zu befähigen. Für das bislang angesprochene Zielspektrum – Bereitstellungen und Massierungen in Stauräumen, Führungs-, Kommunikations- und Aufklärungsmittel, gepanzerte Kräfte, Punktziele auf Flugfeldern – reichte das Waffensystem MARS II mit GMLRS Unitary aus. Es bietet eine sehr hohe und wirksame Raumabdeckung zur unmittelbaren Feuerunterstützung und gewährleistet in allen Einsatzszenaren höchste Präzision und Wirkung im Ziel. Durch nutzungsdauerverlängernde Maßnahmen am System MARS II ist die Einsatzbereitschaft bis 2035 sichergestellt. Was aber kommt danach?

Für die Raketenartillerie der Bundeswehr gilt eine Reichweitensteigerung auf 300 km oder mehr als unerlässlich, um der überlegenen Reichweite gegnerischer Systeme angemessen begegnen zu können. Ob es gelingt, mit den derzeit untersuchten Konzepten den eingangs skizzierten Bedrohungen effektvoll zu begegnen, hängt im weitesten Sinne von der Auswahl moderner verfügbarer Technologien in den kritischsten Bereichen einer Neuentwicklung eines Waffensystems – nämlich Zielaufklärung, Missionsplanung, Navigation (in Störszenarien), Feuerleitung, Vernetzung (Integration in einer C2/C3-Umgebung), Reichweite und Wirkung im Ziel – ab. So gilt es, im Rahmen des Entwicklungsvorhabens JFS-M den in Betracht gezogenen intelligenten Lenkflugkörper als Fähigkeitserweiterung des „Zukünftigen Systems des Indirekten Feuers“ durch neuartige und bereits verfügbare Technologien zu rüsten – darunter KI (künstliche Intelligenz) zur Verbesserung der Zielerkennung und -bekämpfung. Nach dem derzeitigen Wissensstand in Bezug auf vergleichbare russische Waffensysteme muss angenommen werden, dass zumindest in Anfängen KI für neuartige Multispektralzielsuchsensoren bereits heute untersucht und erprobt werden. Es gilt daher, den erzielten technologischen Vorsprung auf dem Gebiet der Digitalisierung und Automatisierung zu nutzen. Dem Einsatz von KI – zur Unterstützung des Zielbekämpfungsprozesses (Automatic Target Recognition; ATR) – kommt hierbei allergrößte Bedeutung zu. Inzwischen weit fortgeschrittene technologische Ansätze, wie die bei MBDA Deutschland entwickelten Konzepte für eine skalierbare Wirkung im Ziel (mittels Multi-Effekt-Gefechtsköpfen) oder die bereits bei früheren Entwicklungsvorhaben gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf Signaturreduzierung bei Abstandsflugkörpern, werden das Design zukünftiger Lenkflugkörper – wie JFS-M – maßgeblich beeinflussen.

Am Beispiel der Taurus-Entwicklung der späten 1990er Jahre wird die Bedeutung der Signaturreduzierung deutlich. In vielfacher Hinsicht haben sich die Grundvoraussetzungen von Lenkflugkörpern mit hoher Überlebenswahrscheinlichkeit seitdem zwar kaum verändert, jedoch führen die Fortschritte bei modernen Werkstoffen und infolge der weiter voranschreitenden Miniaturisierung heute zu neuen Anforderungen.

Was im weiteren Verlauf Einfluss nehmen wird auf die Entwicklung des JFS-M ist die Tatsache, dass bei der Auswahl der Wirkmittel zunehmend skalierbare Wirksysteme in Betracht zu ziehen sind. Der Grund dafür liegt in dem Konfliktgeschehen der letzten Jahre und der Tatsache geschuldet, dass mehr als 90% der Kampfhandlungen auf überbautes Gelände – Siedlungen, Ortschaften und Städte – beschränkt blieb. Dieser Befund ist bestimmend für die Auswahl der Wirkmittel für JFS-M. Mit den bei MBDA Deutschland entwickelten skalierbaren Wirksystemen ist es möglich, die Wirkung von Spreng- und Penetrator-Gefechtsköpfen auf ein Ziel zwischen 10% und 100% zu skalieren und Kollateralschäden im Umfeld des Ziels bzw. Zielgebiets zu minimieren (wt berichtete).

Zudem besteht im Verlauf der weiteren Entwicklung des JFS-M die Möglichkeit, den Lenkflugkörper mit einer zumindest begrenzten „Loitering“-Fähigkeit auszustatten, die es ihm erlaubt, im Zielgebiet über einen zeitlich begrenzten Rahmen – etwa zur Aufklärung des Zielgebietes – zu manövrieren (Time over Target). Im Gegenzug muss der neue Lenkflugkörper über Fähigkeiten verfügen, um sich elektronischen Gegenmaßnahmen des Gegners (Jamming, GPS-Spoofing) zu entziehen. Das Design des JFS-M verweist außerdem auf die hohe Bedeutung eines modernen Missionsplanungssystems. Durch spezielle Verfahren der 3D-Flugwegplanung ist es möglich, stark verteidigte (also aufgeklärte und voraufgeklärte) Bereiche zu umfliegen und für den Marschflug ungünstiges Gelände zu meiden. Diese Fähigkeitsanforderungen erinnern an die Taurus-Entwicklung.

Die Tabelle gibt einen Überblick, welche neuen und bereits verfügbaren Technologien Einfluss nehmen auf das Design und die Leistungseigenschaften eines künftigen JFS-M.

Kennzahlen und Schlüsselfähigkeiten JFS-M

Typ: Intelligenter Lenkflugkörper

Mission: Indirektes Feuer

Einsatzmöglichkeiten: Wirkung, Aufklärung, Elektronischer Kampf

Trägersysteme: MARS II und Nachfolger

Antrieb: Booster + Turbojet

Geschwindigkeit: Unterschall (0,4 Mach bis Mach 0,9)

Reichweitenspektrum: 1-300+ km, maximale Reichweite 499 km

Zielspektrum: Präzisions-, Punkt- und kleine Flächenziele

Nutzlast: Wirkladung, Elektronischer Kampf (modular)

Wirksystem: Multi-Effekt-Gefechtskopf oder skalierbarer Gefechtskopf

Zielbekämpfung: passive Zielaufklärung (Radar), intelligente Sensorik (elektro-optisch/Infrarot/Radar), KI-basierte ATR,

Navigation: Störungsresistente GPS-Navigation, bildgestützte Navigation

Missionsplanung: 3D-Flugwegplanung, Time over Target

Datenhaltung/-austausch: Missile-to-Missile-Datenlink, Plattform-to-Missile-Datenlink (Up-/Downlink)

Exkurs in die Physik

Die Technologie des JFS-M gilt als komplex. Bei Lenkflugkörpern dieser Kategorie sind sehr wesentliche Fortschritte in den kritischen Bereichen Allwetterfähigkeit, Entdeckbarkeit, Mensch/Maschine-Schnittstelle, Sensorleistung, Feuerleitung, Mehrfachzielbekämpfung und Datenfusion zu erwarten. Außerdem werden beim Design des nach Stealth-Gesichtspunkten entwickelten Lenkflugkörpers – mit einer geforderten hohen Durchsetzungs- bzw. Überlebensfähigkeit – die weiterhin wachsenden Gefahren durch kommunikativ vernetzte Luftverteidigungssysteme des Gegners zu betrachten sein. Daher kommt der Reduzierung der Radar- und Infrarot- bzw. Wärmesignatur, wie im Design des JFS-M erkennbar, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Bei neuartigen Lenkflugkörpern – ob nun luftatmende Marschflugkörper kurzer oder mittlerer Reichweite wie KEPD 350 Taurus oder solche wie JFS-M – lassen sich Radarreflexionen und Wärmeabstrahlung mit Hilfe physikalischer Erkenntnisse auf ein Minimum reduzieren, jedoch nicht gänzlich vermeiden. Letztlich kann durch konfigurative Änderungen an der Flugkörperzelle oder durch die Verwendung von Verbundwerkstoffen mit radarabsorbierenden Eigenschaften eine verringerte Ortungswahrscheinlichkeit dazu führen, dass ein Lenkflugkörper sehr viel tiefer in den überwachten Bereich des gegnerischen Luftraums eindringen kann, bis dieser entdeckt wird.

Genau hier stellen sich für die Zukunft die eigentlichen technologischen Herausforderungen an die Formgebung und den Werkstoffeinsatz – auch beim JFS-M. Abhängig vom Antriebskonzept sind an dem Lenkflugkörper, wie er sich zurzeit darstellt, Radarstreuzentren für eine Tarnung durch konfigurative Modifizierungen oder durch die Verwendung von Verbundwerkstoffen und Radarabsorbern zu berücksichtigen. Weiche dreidimensionale Rundungen dienen der Aufspaltung von auftreffenden Radarsignalen und schließlich der Unterdrückung von Reflexionen zum Sender. Diese kritischen Bereiche lassen sich durch konfigurative Tarnmaßnahmen oder durch die Nutzung von Radarabsorbern (auch aus Gründen der Aerodynamik und Aerothermodynamik) allerdings niemals vollständig eliminieren.

Konsequenz für eine „Rakete 300 km plus“

Deutschland hat sich zur Umsetzung der Nato-Zielsetzung (Nato Capability Targets) verpflichtet, die als Fähigkeitsentwicklung für festgelegte Bereiche, u.a. die Herstellung einer eigenen Fähigkeit für das Indirekte Feuer in Betracht zieht. Dabei wird ein witterungsunabhängiges, digitalisiertes und schnell verlegbares Waffensystem gefordert, das – eingebunden in eine C2/C3-Umgebung wie ADLER II/III (Artillerie-, Daten-, Lage- und Einsatz-Rechnerverbund) bzw. künftig weiter verbesserte Führungs- und Waffeneinsatzsysteme – potenzielle Punkt- und Flächenziele präzisionsgelenkt über große Distanzen bekämpfen kann. Die Modernisierung der Raketenartillerie knüpft an Aussagen von Vertretern des AHEntwg an, wonach ein Bedarf für eine „Rakete 300 km plus“ bereits am Ende dieses Jahrzehnts entstehen wird. Ziel ist es, eine abstandsfähige und präzise Wirkungsüberlegenheit bis über 300 km (maximal bis 499 km) zu erreichen. Nur so erlangt die Raketenartillerie Wirkungsüberlegenheit, die sie zu durchsetzungs- und abstandsfähigem Handeln befähigt. Die Bekämpfung stationärer Einzel- und kleiner Flächenziele durch eigene Wirkmittel der Artillerie auf Entfernungen jenseits der Reichweite von 84 km ist zurzeit noch nicht möglich. Zwar erfolgt parallel derzeit die Weiterentwicklung der GMLRS-Rakete Unitary zu einer Extended Range (ER)-Version, mit der eine Reichweite von bis zu 150 km möglich sein wird, jedoch ist die Zielerreichung 300 km+ die Minimalforderung für die zweite Hälfte der 2020er Jahre. Dank der derzeit entwickelten neuen und bereits verfügbaren Technologien wird es mit JFS-M möglich sein, eine Zielerreichung 300 km+ zu gewährleisten.

Was machen andere?

Jüngste Simulationsstudien haben ergeben, dass die Nato dringend eine Neuorientierung ihrer zukünftigen Kapazitätsanforderungen benötigt, um Bedrohungen wie A2/AD des Gegners zu überwinden und einen stärkeren Feind während einer groß angelegten Kampagne abzuschrecken. Die US-amerikanischen Streitkräfte haben daher die Dringlichkeit der Modernisierung ihres Indirekten Feuers und der Reichweitensteigerung zugehöriger Effektoren erkannt. Das Programm mit der neuen Bezeichnung PrSM (für Precision Strike Missile; zuvor Long Range Precision Fires; LRPF) der US Army hat daher eine enorme Bedeutung. PrSM soll auf kurz- bis mittelfristige Sicht, so das US-Verteidigungsministerium, das veraltete Waffensystem ATACMS (Army Tactical Missile System) ersetzen.

Bei PrSM handelt es sich um ein Vorhaben, mit dem eine Steigerung der Reichweite von zunächst annähernd 500 km (später bis zu 700 km) erreicht werden soll. Die Munition soll über eine deutlich verbesserte Resistenz gegen GPS-Jamming verfügen und sowohl für den Verschuss von der mit dem MARS II vergleichbaren Plattform MLRS, als auch dem radgestützten HIMARS (High Mobility Artillery Rocket System) geeignet sein.

Stefan Nitschke

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