Würdigung der Armee

20/10/2021

Vor dem Reichstag zeigte sich die Bundeswehr von ihrer eindrucksstärksten Seite: Mit einem Großen Zapfenstreich, dem höchsten Zeremoniell der deutschen Streitkräfte, ehrte sie im Fackelschein und mit einer Ehrenformation alle Soldatinnen und Soldaten, die teils mehrfach in Afghanistan in oft gefährlichen Einsätzen Dienst geleistet haben. „Viribus Unitis“ – Vereinte Kräfte war das Motto eines Marsches, den das Musikkorps der Bundeswehr intonierte. An dem Staatsakt nahm die gesamte Staatsspitze teil, unter ihnen die scheidende Bundeskanzlerin Angelika Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble.Stellvertretend für die am Hindukusch in den vergangenen 20 Jahren eingesetzten 93.000 Soldatinnen und Soldaten standen zwei Angehörige der Bundeswehr vor der Formation des Wachbataillons: Oberstabsfeldwebel Jens Brudinski und Oberfeldarzt Katharina Siegl. Beide waren dabei, als 2011 ein Kamerad in einer Sprengfalle sein Leben verlor.

Die Ehrung aller 76 deutschen Kontingente, die über den gesamten Zeitraum in Afghanistan eingesetzt wurden, erfolgte mit Anmarsch und Meldung, der Serenade und dem Großen Zapfenstreich, in dem das Lied „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart“ erklingt. Die Soldaten der Ehrenformation nahmen mit dem Befehl „Helm ab zum Gebet“ ihren Helm vor die Brust, um ihn kurz nach dem Lied nach Befehl wieder aufzusetzen. Bei diesem Gebet und der nachfolgenden Nationalhymne erhoben sich auch die Gäste auf den Zuschauertribünen von ihren Plätzen. Das Zeremoniell endete schlicht mit militärischer Abmeldung und Ausmarsch.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer richtete bereits zuvor bei einem Appell auf dem Paradeplatz des Ministeriums ihr Wort an die Soldatinnen und Soldaten: „Ihr Einsatz wird niemals und darf niemals vergessen werden.“ Nicht alles könne eine Armee mit ihrem militärischen Eingreifen erreichen. Doch ihren Auftrag, den das Parlament immer wieder erteilt habe, hätte die Bundeswehr erfüllt: „Von Afghanistan ging 20 Jahre lang keine terroristische Bedrohung für das Bündnis aus, sie habe quasi aus dem Nichts die afghanischen Sicherheitskräfte zusammen mit den internationalen Partnern aufgebaut, eine Generation Frauen und Männern konnte freier, sicherer und besser aufwachsen als jemals zuvor.“ Dennoch sei es so, Soldaten könnten keine Zivilgesellschaft aufbauen, keine Demokratie garantieren oder den Aufbau einer Wirtschaft. „Sie haben erreicht, was möglich war, unter dem Einsatz von Leib und Leben. Deshalb ist heute der Tag, an dem wir ihnen Respekt zollen, ihnen Ehre erweisen“, sagte die Ministerin in ihrer vermutlich letzten großen Rede ihrer Amtszeit. Die zahlreichen Gäste, unter ihnen Hinterbliebene von getöteten Soldaten sowie Einsatzgeschädigte, klatschten am Ende ihrer Ausführungen Beifall.

Beim zentralen Appell sprach auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Steinmeier zu den Soldatinnen und Soldaten: Vor allem ehrte er deren unermüdlichen Einsatzwillen. Er gedachte der Gefallenen und Verstorbenen, er ehrte alle, die verletzt oder verwundet wurden. Es gebe aber auch Lehren zu ziehen: „Ich bin überzeugt: Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nach Afghanistan muss ehrlicher, klüger und stärker werden.“ Er rief dazu auf, angesichts zahlreicher Konflikte in der Welt die militärischen Möglichkeiten zu stärken. Verhandlungsstärke und Verteidigungsstärke gehören zusammen, sagte er.

Der scheidende Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, sagte, auch die Abgeordneten hätten etwas gelernt. „Der von uns erteilte Auftrag konnte so nicht erfüllt werden“, gestand er ein. An den Soldaten habe es nicht gelegen, doch müsse das Parlament daraus Schlüsse ziehen. „Das ist unsere Verantwortung, das sind wir Ihnen schuldig, den Veteranen, den Gefallenen, den im Einsatz Verstorbenen und ihren Familien und den Kameraden, die versehrt zurückgekehrt sind“. Schäuble mahnte an, das Gespräch zwischen Politik und Truppe müsse verbessert werden. Zu oft herrsche Sprachlosigkeit und die zivile Welt scheue sich, die Leistung der Bundeswehr anzuerkennen.

Autor: Dr. phil. Roger Töpelmann

Dr. phil. Roger Töpelmann war bis 2020 Sprecher des evangelischen Militärbischofs mit Sitz in Berlin und ist freier Journalist. Er besuchte als Sprecher mehrere Auslandseinsätze und zahlreiche Standorte der Bundeswehr. Der Theologe war von 1999-2014 Pressesprecher für die Evangelische Kirche in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden und zuvor Pfarrer in Frankfurt am Main. Wissenschaftlich hat er u. a. über die Rolle Dietrich Bonhoeffers in der Militärischen Abwehr gearbeitet.

Großer Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude in Berlin zur Würdigung des Afghanistan-Einsatzes am 13. Oktober 2021. (Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke)

Stefan Nitschke

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