Viele gute Gründe für die deutsch-französische Zusammenarbeit?

16/02/2022

Internationale Rüstungskooperationen sind schon seit Jahrzenten ein wichtiger Bestandteil der industriellen Zusammenarbeit in der europäischen wehrtechnischen Industrie. Dadurch ist es möglich, Großvorhaben schneller und auch preisgünstiger zu realisieren. Darüber hinaus haben diese Kooperationen einen hohen sicherheitspolitischen Stellenwert, um langfristig Absatzmärkte zu sichern und gegen mögliche Konkurrenten abzugrenzen. Frankreich und Deutschland gelten als ideale Partner in der Rüstungszusammenarbeit. Schon im Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat (DFVSR) oder Conseil Franco-Allemand de Défense et de Sécurité (CFADS) wurden die Eckpfeiler einer gemeinsamen Rüstungskooperation geschaffen. Die Grundlage für dieses höchste Organ der deutsch-französischen Zusammenarbeit bildet das Ergänzungsprotokoll zum Deutsch-Französischen Vertrag vom 22. Januar 1963. Die Hauptaufgaben dieses im halbjährlichen Rhythmus tagenden Organs umfassen neben der Erarbeitung gemeinsamer Konzeptionen im Bereich der Verteidigung und Sicherheit die Verbesserung der Interoperabilität der Streitkräfte beider Länder und die Abstimmung in der Rüstungskooperation. Die Bedeutung von Interoperabilität und der gemeinsamen Abstimmung und Beschlussfassung über gemeinsame (gemischte) Militäreinheiten wird besonders am Beispiel der Deutsch-Französischen Brigade (D/F-Brigade) deutlich, die am 13. November 1987 aufgestellt wurde. Durch gemeinsame Verfahren im Bereich der Beschaffung von Wehrmaterial ist es beiden Partnerländern gelungen, die logistische Versorgung von eingesetzter Ausrüstung dieses Großverbandes zu vereinfachen und die Kosten und Lasten bei gemeinsamen militärischen Übungen zu verringern. Zudem kann am Beispiel von gemeinsamen Rüstungsprojekten aufgezeigt werden, dass besonders die Zusammenarbeit im Bereich der Vorphasenforschung sowie die Zusammenarbeit zwischen wehrtechnischen und wehrwissenschaftlichen Dienststellen ganz erheblich zum Erfolg der deutsch-französischen Rüstungszusammenarbeit beigetragen haben.

Das Zukünftige Luftkampfsystem – FCAS – verfügt aufgrund seiner Größe und strategischen Bedeutung über das Potenzial, die Art und Weise, wie die Partnerländer Frankreich, Deutschland und Spanien in Rüstungsangelegenheiten zusammenarbeiten, grundlegend zu verändern. (Foto: Dassault Aviation)

Blaupause für F&T 4.0

Die Rüstungszusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs führte in den Jahrzehnten seit der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages zu zahlreichen Vorhaben, die bedeutenden Einfluss auf die Modernität des bei beiden Streitkräften eingesetzten Materials ausübten. Ein Beispiel war das seit 1966 bei der Bundeswehr genutzte und gemeinsam mit Frankreich entwickelte Transportflugzeug TRANSALL. Es gilt als das erste Großvorhaben der beiden Länder. Weitere Vorhaben, der Seezielflugkörper AS-34 KORMORAN, das Panzerabwehrlenkflugkörpersystem MILAN und das Klarwetter-Tieffliegerabwehrsystem ROLAND 1 und 2, entwickelten sich zu Rüstungsprojekten mit Vorbildcharakter für viele weitere Vorhaben in den Jahren nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes. Schon zu Beginn dieser Vorhaben hatte es sich gezeigt, dass sich die beteiligten Industrien durch das Einbringen hochspezieller Technologien in idealer Weise ergänzten. Bereits Mitte 1959 begann die Serienfertigung des ersten deutschen Lenkflugkörpers nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, dem Panzerabwehrlenkflugkörper BO-810 COBRA, welcher mittels Drahtlenkung seinerzeit richtungsweisend war für eine Reihe von Folgeentwicklungen, darunter MILAN, HOT (Haut subsonique Optiquement Téléguidé; deutsch: hoher Unterschallbereich optisch ferngelenkt) und die digitalisierte Waffenanlage MILAN ADT.

Die Erfolge in den folgenden Jahrzehnten führten letztlich zu Kooperationen innerhalb von europäischen Gemeinschaftsunternehmen wie EADS/Cassidian (heute Airbus), MBDA, Thales und neuerdings der Holding KNDS (Krauss-Maffei Wegmann und Nexter Defence Systems), die sich – durch Beteiligung weiterer europäischer Partnerländer – heute nicht nur auf die gemeinsame Entwicklung und Fertigung von Transportflugzeugen und Lenkflugkörpern konzentrieren. Die Kooperation hat sich – heute allerdings mehr und mehr im gesamteuropäischen Maßstab – auf verschiedene Schnittstellenbereiche der Rüstungstechnologie ausgeweitet. Hierbei stehen modernste Antriebssysteme für Lenkflugkörper, Subsysteme und Komponenten für Lenkflugkörper (Abschussanlagen, Flugkörper, Peripheriegeräte), Hubschraubersysteme wie den Kampf- und Unterstützungshubschrauber TIGER/TIGRE und den Mittleren Transporthubschrauber NH90, Aufklärungs-, Kommunikations- und Nachrichtentechnik, Freund-Feind-Kennungssysteme und Satellitentechnologien im Vordergrund bei laufenden oder geplanten Beschaffungsvorhaben. Einige dieser Vorhaben, wie etwa das Artillerieortungsradar COBRA, wurden oder werden in der Verantwortung der europäischen Programmagentur OCCAR (Organisation Conjointe de Coopération en matière d’Armament) geführt.

Gemeinsame Arbeiten im Bereich Forschung & Technologie (F&T) bereichern das Erscheinungsbild deutsch-französischer Rüstungszusammenarbeit und sind somit Ausdruck einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Sie hat Einfluss auf die europäische Eigenständigkeit bei Sicherheit und Verteidigung. die aktueller ist denn je. Das Deutsch-Französische Forschungsinstitut Saint Louis – kurz ISL – steht für eine jahrzehntelange Zusammenarbeit. Die dort laufenden Forschungs- und Technologiearbeiten sind auf die Rüstungsprogramme des BAAINBw und der französischen Partnerbehörde DGA (Direction Générale de l‘Armement) ausgerichtet. Die Resultate jahrelanger F&T-Arbeiten können sich national wie international sehen lassen. Auch die Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg arbeitet eng mit dem ISL auf dem Gebiet der Grundlagenforschung zusammen. Die Direktoren der beiden Einrichtungen unterzeichneten dazu bereits am 16. März 2016 einen Vertrag.

Das Projekt MGCS ist so ein weiteres Leuchtturmprojekt der deutsch-französichen Zusammenarbeit. Dank fehlender Finanzierung, ist aber auch dieses bedroht. (Zeichnung des Nexter Konzerns zum Projekt MGCS)

Risiken

Es gibt jedoch Gemeinschaftsprogramme, die, wie das inzwischen von den meisten europäischen Partnern georderte Transportflugzeug A400M, aber auch Risiken aufzeigen, die durch zu lange Entwicklungszeiträume und gestiegene Kosten begründet werden. Bei multinationalen Großvorhaben müssen naturgemäß Kostensteigerungen und Verzögerungen in Betracht gezogen werden. Das Beispiel A400M zeigt nur sehr deutlich, wie wichtig es ist, durch gemeinsame Anstrengungen dafür Sorge zu tragen, dass der Gefahr eines Scheiterns von großen gemeinsamen Beschaffungsvorhaben oder von Forschungs- und Technologievorhaben wie die Großdrohne TALARION entgegengewirkt werden kann. Dies gilt auch vor dem Hintergrund einer wachsenden Konkurrenz aus dem Ausland (USA, Brasilien) und Tendenzen im nationalen Bereich, die versuchen, bewährte Partnerschaften wie die zwischen Deutschland und Frankreich zu untergraben. Wichtige gemeinsame Rüstungsprojekte müssen daher immer wieder einer gemeinsamen (politischen und unternehmerischen) Neubewertung unterzogen werden. Wenngleich sich Frankreich in Ermangelung klarer Perspektiven beim Transportflugzeug A400M schon vor Jahren für ein amerikanisches Produkt (C-130J HERCULES) als Zwischenlösung aussprach, vermögen Beobachter deutliche Tendenzen zu erkennen, die der gemeinsamen Ausrichtung der wehrtechnischen Industrien beider Länder wieder eine größere Bedeutung einräumen. Dies gilt besonders für den Bereich von militärisch und zivil nutzbaren Satellitensystemen. Bei der Nutzung des Weltraums kommt es darauf an, die über viele Jahre erlangten Kompetenzen bei der Industrie in Deutschland und Frankreich zu bündeln, jedoch die Kernfähigkeiten und Kapazitäten in bestimmten Technologiebereichen und Zukunftstechnologien bei den jeweiligen Partnern zu belassen und zu erhalten.

Der Konsens zwischen den beiden Partnerländern sollte aber auch bei der Vielzahl von kleineren Projekten, die oftmals nur begrenzte Beschaffungsgrößen oder hochspezielle Dienstleistungen (Entwurf, Simulation, Nachweis, Integration, Erprobung, intelligente Materialerhaltung) erlauben, dazu führen, dass die Erfahrungen aus der gemeinsamen Rüstungszusammenarbeit und Verantwortung für Europa erhalten bleiben und ein Beispiel für weitere europäische Kooperationen bilden. Denn nur ein gemeinsames Vorgehen in Fragen der Nutzung von modernster Rüstungstechnologie stellt sicher, dass sich Europa – im Konzert mit weiteren Partnern wie Großbritannien, Italien, die Niederlande, Schweden und Spanien – der starken Konkurrenz aus Übersee erwehren kann.

Gewagter Ausblick

Die deutsch-französische Rüstungszusammenarbeit gilt nach mehr als sechs Jahrzehnten gemeinsamer Anstrengungen und vieler Erfolge als „Motor“ einer europäischen Eigenständigkeit bei Sicherheit und Verteidigung. Hinter den aktuellen Großprojekten wie das zukünftige Luftkampfsystem (Future Combat Air System; FCAS, französisch: Système de combat aérien du futur; SCAF) oder der gemeinsame Kampfpanzer der Zukunft verbergen sich allerdings auch Risiken. So wird Frankreich immer versuchen, seine Luft- und Raumfahrtindustrie durch einen möglichst hohen Anteil an eigener Wertschöpfung zu stärken. Denn es geht darum, das Exportpotenzial maximal auszuschöpfen. Das zeigt das Beispiel FCAS. Frankreich ist hier keinerlei Rüstungsexportbeschränkungen ausgesetzt wie etwa Deutschland. Die Strategien im Elysée-Palast sind auf eine Stärkung der nationalen Verteidigungsindustrie ausgerichtet. Sie steht im Gegensatz zu Deutschlands wehrtechnischer Industriebasis, die kaum oder nur eingeschränkt durch die Politik unterstützt wird. Das zeigt sich an einem Beispiel aus dem letzten Jahrzehnt: Der Verkauf von RAFALE-Kampfflugzeugen nach Indien ist unter anderem das Ergebnis einer direkten Intervention durch den französischen Staatspräsidenten. Deutschlands Angebot für den Eurofighter erfolgte ohne Berlins Unterstützung. Eine fehlende oder unzureichende Unterstützung durch die Politik führt in den allermeisten Fällen zu einem Scheitern.

Die europäische Gemeinschaftsproduktion eines Waffensystems wie FCAS wirft die Frage nach dessen Exportierbarkeit auf. Das gilt insbesondere für Frankreich, wo der Export von Rüstungsgütern strategisch und wirtschaftlich einen höheren Stellenwert einnimmt als in Deutschland. Frankreich wird im Fall von FCAS vorgeworfen, das neue Kampfflugzeug der Sechsten Generation in weiten Teilen „im Alleingang“ entwickeln und produzieren zu wollen. Die technologischen Sprünge besonders auf dem Gebiet der Avionik mögen Paris Recht geben. Beim FCAS liegen die industriellen Fähigkeiten und Kapazitäten in diesem kritischen Bereich ausschließlich bei der französischen Industrie. Sollten Rüstungsexportbeschränkungen auf Seiten Deutschlands dazu führen, Exporte (wie erwartet in den arabischen Raum) zu erschweren, weil Komponenten aus deutscher Entwicklung und Fertigung verbaut sind, dann wird Paris aus Sorge um Absatzmöglichkeiten immer dem Alleingang den Vorzug gewähren. Deutschland gerät hierbei in die Defensive.

Stefan Nitschke

Stefan Nitschke

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