2022: Das Jahr der Entscheidungen – Die Tornado-Nachfolge ist geklärt

15/03/2022

Deutschland wird das aus US-amerikanischer Entwicklung und Fertigung stammende Kampflugzeug F-35 beschaffen, um damit einen Teil des Bestandes an Tornado-Kampfflugzeugen abzulösen. Außerdem wird die Beschaffung einer modernen Variante des Eurofighter erwogen, um damit die für die Elektronische Kampfführung seit vielen Jahren eingesetzten Tornado ECR abzulösen. Schon ab 2025 muss der Nachfolger bereitstehen, um deren hoch spezialisierte Aufträge übernehmen zu können.

Die Bundesregierung hat nun über die Nachfolge des Kamppflugzeuges Tornado entschieden. Gut dreieinhalb Monate nach ihrer Ernennung zur Verteidigungsministerin hat Christine Lambrecht (SPD) gestern erklärt, dass man sich nach Abwägung aller auf dem Tisch liegender Optionen entschlossen habe, das aus US-amerikanischer Entwicklung und Produktion stammende Kampfflugzeug F-35 zu beschaffen. Damit soll die nukleare Teilhabe der Luftwaffe sichergestellt werden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte Deutschland immer wieder gedrängt, die nukleare Teilhabe an US-amerikanischen Waffensystemen in Europa nicht aufzugeben. Die Fortführung der nuklearen Teilhabe galt lange Zeit als ein ungeliebtes Thema der Großen Koalition. Es musste befürchtet werden, dass die ehemaligen Koalitionspartner die Bedeutung unterschätzten, wie sich Deutschland künftig im Konzert mit den Bündnispartnern aufstellen und das Mitspracherecht im nuklearen Planungsgremium sichern wird. Mit der jetzt erfolgten Auswahlentscheidung der F-35 erfolgt somit eine Neubewertung der nuklearen Teilhabe, denn Deutschland wird diese Fähigkeit auch nach der Ablösung der hierfür eingesetzten Tornado-Kampfflugzeuge beibehalten. Die lange erwartete Auswahlentscheidung folgt der aktuellen Situation in der Ukraine. Der Angriff Russlands auf die ehemalige Sowjetrepublik erfordert rasche Beschaffungsentscheidungen – auch vor dem Hintergrund einer für die Landes- und Bündnisverteidigung nicht bedarfsgerecht ausgestatteten Bundeswehr. Der nuklearen Teilhabe kommt als Instrument der Abschreckung eine besondere Bedeutung zu.

Von dem nach Stealth-Gesichtspunkten entwickelten Kampfflugzeug F-35A wird die Deutsche Luftwaffe 35 Exemplare erhalten. (Foto: Stefan Nitschke)

Ursula von der Leyens Absage an die F-35 hatte noch vor wenigen Jahren für Unmut und Kopfschütteln bei Deutschlands Verbündeten gesorgt, als man als Option das Deutschland seinerzeit angebotene Flugzeugmuster F/A-18 in „die nähere Auswahl“ einbezog – ein Flugzeugmuster der vierten Generation. Befürchtet wurde, dass Deutschland damit einen Alleingang vollziehen würde. Andere wichtige europäische Bündnispartner – Großbritannien, Italien, die Niederlande, Belgien, Dänemark und Norwegen – hatten sich längst für die Option F-35 entschieden und profitieren so neben der gemeinsamen Pilotenausbildung von einer ebenso gemeinsam geschulterten logistischen Versorgungskette. Mit der Entscheidung „gegen F-35“ hätte sich Deutschland diesen markanten Vorteilen einer multinationalen (europäischen) Zusammenarbeit entzogen.

Eurofighter und F-35 bei der Übung BlueFlag. (Foto: Bundeswehr)

Der Weg zur jetzt erfolgten Auswahlentscheidung war ein langer. Zur Erinnerung: Am 19. Oktober 2017 wandte sich das BMVg mit einem offiziellen Ersuchen an die US Defense Security Cooperation Agency (DSCA) als koordinierende Stelle für Waffensysteme aus US-amerikanischer Entwicklung und Produktion. Das Ministerium forderte darin Informationen zu den drei möglichen Optionen: F-35A, F-15E und F/A-18/FA-18G. Am 24. April 2018 wurden die Antworten an Brigadegeneral Gerald Funke, Unterabteilungsleiter Planung I (Zukunftsentwicklung Bundeswehr) und seinerzeit Beauftragter für das deutsch-französische Projekt FCAS im BMVg, übergeben.

Von verpassten Chancen kann mit der jetzt erfolgten Auswahl nicht mehr gesprochen werden. Denn mit einer Auswahlentscheidung für die F-35 kann Deutschland teilhaben an der Nutzung eines logistischen Konzeptes, das gemeinsam von den europäischen Nutzerstaaten entworfen und auf die Anforderungen für eine Nutzungsphase über das Jahr 2065 hinaus zugeschnitten ist. Es sieht vor, dass bei einer gemeinsamen Nutzung desselben Flugzeugtyps erhebliche Kosteneinsparungen vor allem bei der Ausbildung der Fluglehrer sowie der gemeinsamen Ausbildung und beim Training der Piloten und der Bodenorganisation erzielt werden. Zudem sind Kosteneinsparpotenziale bei Unterstützungsleistungen zu erwarten, die schon beim trinationalen Tornado-Programm und aktuell bei der gemeinsamen Nutzung des Eurofighter in „erheblichem Umfang zu einer Harmonisierung des Flugbetriebs führten“, so eine Einschätzung der Europäischen Verteidigungsagentur EDA. Denn zum Eurofighter-Programm der vier daran beteiligten europäischen Nato-Staaten (Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien) führt die Agentur aus, dass damit die Anforderungen der Kunden hinsichtlich Interoperabilität, Pilotenaus- und Weiterbildung sowie Kommunalität bei Wartung, Instandsetzung, Ersatzteilversorgung und Betrieb über das ursprünglich angenommene Maß hinaus erfüllt werden. Nur dadurch erreicht das Waffensystem eine entsprechend hohe Einsatzverfügbarkeit.

(Foto: Bundeswehr)

Die Ausgangslage bei der F-35 ist ähnlich. Die Nutzer profizieren von einem logistischen Konzept, das das Ziel verfolgt, die Lebenswegkosten (Life Cycle Costs) so gering wie möglich zu halten. Hierbei wird eine zustandsorientierte Materialerhaltung angestrebt, um die Reparaturdurchlaufzeiten – anders als bei früheren Waffensystemen – zu verkürzen. Die Instandsetzung von Systemkomponenten erfolgt bei der beteiligten Zulieferindustrie gemäß dem „Single Source Repair“-Prinzip. Ein Beispiel hierfür ist die Instandsetzung der Triebwerke. Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen beim Waffensystem Eurofighter bietet die F-35 den Nutzern die Möglichkeit, maßgeblich im Prozessmanagement, in der Materialsteuerung, in den Werkstattbereichen der Industrie sowie in der Qualitätssicherung und der ingenieurmäßigen Waffensystembetreuung beteiligt zu sein. Die Option F-35 offeriert insofern die Möglichkeit, Kooperationsmodelle mit der Industrie zu vereinbaren, die die gemeinsame Betreuung des Waffensystems durch Nutzer und Industrie in einer Einrichtung gewährleistet. Bei der bislang betrachteten Option F/A-18/FA-18G hingegen handelte es sich um einen Flugzeugtyp, der nur begrenztes Potenzial für eine auf Langfristigkeit angelegte Beteiligung der deutschen wehrtechnischen Industrie bietet. Abgesehen von Entwicklungsanteilen bei der Modernisierung von Waffensystemen (Beispiel HARM-Nachfolger AARGM), werden beim Erwerb der F/A-18 kaum Arbeitsanteile für die deutsche Industrie erwartet.

Grundsätzlich gilt für die europäischen Nutzerstaaten der F-35, dass die vorhandene Infrastruktur der bislang genutzten Flugzeugmuster (F-16 in Belgien, Dänemark, Norwegen und in den Niederlanden) auch für das neue Waffensystem nutzbar ist. Es sind lediglich waffensystemspezifische Anpassungs- und Neubaumaßnahmen erforderlich, die bei der Einführung eines neuen Waffensystems als unabdingbar gelten. Hierbei zahlt sich aus, dass kostenträchtige Beschaffungen wie etwa Flugsimulatoren gemeinsam erfolgen können. Die Situation in Italien ist eine andere, da zwei Varianten der F-35 ein trägergestütztes Kampfflugzeug (AV-8B Plus) der Marine sowie den Bestand an Tornados und einen Teil der AMX-Kampfflugzeuge bei den Luftstreitkräften ablösen werden. Insofern führt dies zu Modifizierungen beim logistischen Konzept. Italien unterhält in Cameri in der Provinz Novara (NO), Region Piemont, eine von zwei Fertigungslinien der F-35 außerhalb der USA und die einzige in Europa.

Für die europäischen Nutzer der F-35 ist von Bedeutung, dass die zertifizierte Einsatzspanne von gegenwärtig 8.000 auf 12.000 Einsatzstunden erhöht werden kann. Damit wird die Nutzungsdauer des Waffensystems über die nächsten 40 bis 45 Jahre sichergestellt. Dies war bei der bislang von Deutschland betrachteten Option F/A-18 nicht der Fall gewesen. Das Nutzungsdauerende wird bei diesem Flugzeugtyp, auch im Zuge von geplanten Anpassmaßnahmen beim Triebwerk sowie bei der Rumpfzelle und der Avionik, bereits für die frühen 2050er Jahre erwartet. Außer der Schweiz und Finnland sowie dem Nato-Mitglied Spanien wurde das Flugzeugmuster von keinem anderen europäischen Nato-Mitglied beschafft. Die mittelfristige Planung der spanischen Luftstreitkräfte zielen auf eine Reduzierung des Bestandes an Kampfflugzeugen EA-18B oder den vollständigen Ersatz ab.

Stefan Nitschke

Pressemitteilung

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