Das NATO-Sondergipfeltreffen beschließt die Verdopplung der Battlegroups in Osteuropa und fordert die Beendigung des brutalen Angriffskriegs und einen sofortigen Waffenstillstand.
Angesichts der weiter eskalierenden Entwicklung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat die NATO beschlossen, das Abschreckungspotenzial und die Verteidigungsfähigkeiten des westlichen Bündnisses zu verstärken. Neben der Aktivierung von Verteidigungsplänen, der Verlegung von Teilen der NATO Response Force (NRF) und der Stationierung von rund 40.000 Soldaten an der Ostflanke, will das Bündnis die Zahl ihrer Kampfverbände (Battle Groups) in Bulgarien, Rumänien, Ungarn und der Slowakei von vier auf acht verdoppeln. Das haben die 30 Staats- und Regierungschefs bei ihrem NATO-Sondergipfeltreffen gestern in Brüssel vereinbart. An dem Treffen nahmen unter anderem US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sowie Großbritanniens Premierminister Boris Johnson teil.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi wurde per Videoschalte zugeschaltet und appellierte eindringlich an die westlichen Staaten, die Ukraine wesentlich stärker als bisher zu unterstützen. Selenskyi bat die westlichen Bündnisstaaten darum, „ein Prozent der NATO-Panzer“ zu liefern. Die Ukraine brauche Waffen gegen Kriegsschiffe und gegen Luftangriffe. Ohne diese Waffen könnte die Ukraine nicht bestehen. Selenskyi sagte warnend: „Das Bündnis kann uns helfen, es ist noch nicht zu spät.“ Russland würde vor nichts zurückschrecken. Am Donnerstag hätten die russischen Truppen sogar Phosphorbomben abgeworfen. Sowohl in Kiew als auch in Brüssel ist die Sorge groß, dass Russland eventuell chemische Waffen einsetzen könnte und damit die Eskalationsspirale noch weiter nach oben schrauben würde.
NATO-Mitgliedsstaaten demonstrieren Entschlossenheit gegenüber Russland
Wichtigstes Ziel des Sondergipfels war es, Russlands Präsident Wladimir Putin zu demonstrieren, dass die Atlantische Allianz fest entschlossen ist, ihre Verteidigungsfähigkeit (Defence) – insbesondere auch an der NATO-Ostflanke – zu verstärken und damit ein klares Signal an die politische Führung in Moskau zu senden, dass das westliche Bündnis bereit ist, seine Abschreckungsfähigkeit (Deterrence) angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu erhöhen. Die militärische Invasion, die wegen der starken Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine seit langem befürchtet worden war, begann am 24. Februar – also vor vier Wochen.
Auch bei dem folgenden G7-Treffen und dem EU-Gipfel will die westliche Staatengemeinschaft ihre Entschlossenheit und Solidarität gegenüber Putin demonstrieren. Dessen politisches Kalkül, den Westen durch seine massive Demonstration von militärischer Macht an der Grenze zur Ukraine einschüchtern und spalten zu können, hat sich als klare Fehleinschätzung erwiesen: Denn der völkerrechtswidrige Angriffskrieg des russischen Machtpolitikers und Machtstrategen gegen die Ukraine hat zu einer noch nie dagewesenen politischen Solidarisierung und damit insgesamt zur Stärkung der westlichen Bündnisstaaten geführt.
EU verdoppelt militärische Unterstützung von 500 Mio. auf eine Mrd. Euro
Erst Anfang der Woche hatten die Außen- und Verteidigungsminister der Europäischen Union (EU) entschieden, den Umfang der Waffenlieferungen an die Ukraine von zunächst 500 Mio. Euro auf rund eine Milliarde Euro zu verdoppeln. Außenministerin Annalena Baerbock versprach, dass die Bundesregierung dafür sorgen wird, damit die notwendigen Bestellungen bei deutschen Verteidigungsunternehmen schnell realisiert werden können. Mit scharfen Worten hat Baerbock das brutale Vorgehen des russischen Militärs gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine kritisiert. Natürlich sei es Sache der Gerichte darüber zu entscheiden, „aber für mich sind das klar und eindeutig Kriegsverbrechen“, wie die Angriffe gegen zivile Ziele, etwa Krankenhäuser, zeigen würden.
Unterdessen ist in Berlin bekannt geworden, dass Deutschland offenbar bereit ist, neben den bereits zugesagten 1.000 Panzerabwehrwaffen und 500 Boden/Luft-Raketen vom Typ Stinger zusätzliche 2.000 Panzerfäuste an die Ukraine zu liefern. Dies muss aber anscheinend zuerst noch beim Bundessicherheitsrat beantragt und beschlossen werden. Seit Kriegsbeginn liefert Deutschland Panzerabwehr- und Luftverteidigungswaffen, Ausrüstung und Munition an die Ukraine – allerdings bei weitem nicht in dem Umfang, wie er notwendig wäre und von der politischen Führung in Kiew gewünscht wird.
Autor Dr. Theodor Benien ist freier Mitarbeiter der WEHRTECHNIK.