„Das Sondervermögen wird kommen“

07/06/2022

wt Exklusiv im Gespräch mit der FDP-Verteidigungsexpertin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag

„Zeitenwende meint nicht nur mehr Investitionen in die Bundeswehr. Wir beginnen gerade einen Wandlungsprozess der deutschen Politik, insbesondere der Außenpolitik.“

Die Morgenstunden des 24. Februars 2022, die die Armee der Russischen Föderation auf breiter Front mit dem heimtückischen Überfall auf die Ukraine einläutete, markieren einen fundamentalen Völkerrechtsbruch, der in Europas neueren Geschichtsbüchern als mörderische Gewaltzäsur eingehen wird. Mit seinem skrupellos geführten Angriffskrieg ist es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gelungen, die in Europa seit dem Fall des Eisernen Vorhangs geltende Friedensordnung nachhaltig zu zerschmettern. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der militärischen Destabilisierung des ukrainischen Donezbeckens im Jahr 2014 stellt der verbrecherische Angriffsbefehl des Kremls die werte- und regelbasierte Völkergemeinschaft der Nato sowie der EU dauerhaft vor gewaltige wie existentielle verteidigungspolitische Herausforderungen. Seit Beginn des militärischen Okkupationsversuchs auf die territoriale Souveränität und Integrität der Ukraine plädiert die FDP-Parlamentarierin Marie-Agnes Strack-Zimmermann für eine militärpolitische Totalwende, ein demokratisches Mehr an glaubhafter Wehrhaftigkeit und für den Ausbau der Bundeswehr zur kampfstärksten Militärmacht Europas. Unter dem Zenit tagtäglicher Lageveränderungen sprach wt mit der engagierten Liberalen und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses über Deutschlands kommende außen- und militärpolitische Rolle in Europa, geopolitische Konsequenzen sowie rüstungspolitische Projekt- und Finanzierungsfragen. Das Pressegespräch wurde am 15. Mai aufgezeichnet.

wt: Seit den ersten Kriegstagen unterstützt die demokratische Staatengemeinschaft der EU und der Nato, allen voran die USA aber auch Großbritannien, das ukrainische Volk bei seinem heroischen Abwehrkampf mit gefechtsentscheidenden Waffenlieferungen sowie militärischen Trainingsprogrammen. Ein wehrhaftes Erfolgskonzept, dem sich Berlins Führungsetage anfänglich nur mit größtem Zaudern näherte: erst keine Waffen in Krisengebiete, dann ausschließlich Verteidigungswaffen, die es faktisch aber gar nicht gibt, nun doch schwere Waffensysteme, aber keine aus Bundeswehr-Beständen – alles indes scheibchenweise, aus ukrainischer Sicht in unzumutbare, bürokratisch-schwerfällige Prüfschleifen gebettet, die aus Militärexpertensicht kaum nachvollziehbar sind. Frau Strack-Zimmermann, als führungsstarker, krisenresistenter ‚Panzer-Kanzler‘, der den unbeugsamen ukrainischen Verteidigungswillen uneingeschränkt solidarisch unterstützte, wird Olaf Scholz wohl nicht in die Geschichtsanalen eingehen, so jedenfalls die Position von Friedrich Merz und seiner Unionsfraktion im Bundestag. Der CDU-Chef kritisierte Scholz‘ Unentschlossenheit als ‚unterlassene Hilfeleistung‘, die offenkundig durch SPD-Linke lanciert worden sei. Im Anbetracht der von Putin so blutig eingeleiteten Zäsur wird Deutschland angesichts des medial wahrgenommen Schlingerkurses in der Nato und der EU zunehmend isoliert, wie Merz konstatiert oder wird sich das internationale Bild von Berlins verteidigungspolitischer Unberechenbarkeit in den nächsten Wochen durch eine Neuorientierung in Richtung konsequenter Realpolitik demnächst noch radikal wandeln?

Strack-Zimmermann: Die Bundesregierung hat von Anfang an klar kommuniziert, dass wir – gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern – fest an der Seite der Ukraine stehen und alles tun, was möglich ist und uns nicht zur Kriegspartei macht, um die Ukraine zu unterstützen. Der Bundeskanzler hat auch klar gemacht, dass dieses Engagement Deutschlands und seiner Partner nicht endet, ehe die Ukraine ihre territoriale Integrität vollständig wiedererlangt hat. Es ist kein Geheimnis, dass ich mir an der ein oder anderen Stelle mehr Tempo und eine deutlichere Ansprache gewünscht hätte, etwa bei der Lieferung schwerer Waffen. Aber insgesamt erlebe ich das Handeln der Bundesregierung als sehr verantwortungsbewusst. Es handelt sich um eine politisch außerordentlich schwierige Situation. Niemand von uns hat bereits Vergleichbares erlebt. Einfach ist es nur für diejenigen, deren Worte und Taten keine Auswirkungen auf das Regierungshandeln haben.

wt: Der von Russland angezettelte Ukrainekrieg dürfte den Weltsicherheitsrat nun endgültig zum zahnlosen Tiger degradiert haben – einerseits durch Moskaus Vetorecht, andererseits durch die skandalöse Enthaltung Chinas. Und auch multilateral gestrickte Faustformeln, wie ‚Wandel durch Handel‘, die insbesondere durch das Merkel-Kabinett propagiert wurden, dürfen sich angesichts der unverkennbaren Pekinger Expansionsgelüste als gefährliche Mogelpackung erwiesen haben. Was bedeutet diese Erkenntnis für das wirtschaftlich stärkste Land Europas und muss die Berliner Politik angesichts weiterer latenter Gefahrenherde wie in Afrika oder dem Nahen Osten endlich lernen, in klaren geopolitischen Dimensionen zu denken?

Strack-Zimmermann: Zeitenwende meint nicht nur mehr Investitionen in die Bundeswehr. Wir beginnen gerade einen Wandlungsprozess der deutschen Politik, insbesondere der Außenpolitik. Dieser Wandel wird noch einige Zeit dauern. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind die Weltbilder vieler Menschen, [die] Grundpfeiler ihrer Überzeugungen zusammengebrochen. Dieser Verlust von Gewissheiten, den wir alle erlebt haben, führt dazu, dass noch weitere grundlegende Annahmen infrage gestellt werden. Das heißt nicht, dass manche Grundsätze, die uns heute überholt erscheinen, nicht ihre Berechtigung hatten.

Gleichzeitig führt der Krieg auch dazu, dass die internationale Kooperation an vielen Stellen sogar gestärkt wird. Die EU und die Nato stehen so geeint da wie lange nicht mehr. Ausnahmesituationen wie diese können dazu führen, dass über Jahrzehnte festgefahrene Diskussionen einen neuen Anlauf nehmen und aus einem „Ja, aber“ ein „Ja“ wird. Das sieht man auch an den bisher neutralen Ländern Schweden und Finnland, die im Begriff sind, der Nato beizutreten.

Diese verstärkte internationale Kooperation bedeutet auch, dass unsere strategische Ausrichtung immer im Bündnis geschieht. Der gerade beschlossene Strategische Kompass der EU und das ausstehende neue Strategische Konzept der Nato sind unsere Leitlinien. Innerhalb dieses Rahmens muss und wird Deutschland eine sehr aktive Rolle spielen.

wt: Mit der kürzlich erfolgten parlamentarischen Entschließung, schwere Waffensysteme aus Industriebeständen an Kiew zu liefern, scheint das regierungsseitige Blockadeeis nun endlich aufgetaut. Allerdings moniert die Unionsfraktion die zeitliche Staffelung der Systemlieferungen. In Anbetracht der aktuellen militärischen Lage, wären Leopard 1-Kampfpanzer und Schützenpanzer Marder ‚wirkungsvoller und nötiger‘, statt eine sich um Monate ausbildungsbedingt verzögernde Lieferung des Flugabwehrpanzers Gepard; ist die Argumentation aus FDP-Sicht nachvollziehbar oder eher abwegig?

Strack-Zimmermann: Es wird immer eine Risikoabwägung gemeinsam mit unseren Verbündeten stattfinden. Das schränkt die Möglichkeiten ein. Dazu kommen der Instandsetzungsbedarf und die Ersatzteillage bei den Waffensystemen. Und schließlich dürfen die Lieferungen auch nicht zu schweren Fähigkeitseinbußen bei der Bundeswehr führen. Es gibt also eine Reihe von konkurrierenden Interessen und Überlegungen, die abzuwägen und zu vereinen sind. Ich habe deswegen vorgeschlagen, dass es einen Koordinator für diese Fragen gibt, der im Kanzleramt die Interessen der verschiedenen Ressorts zusammenführt und so die Entscheidungen des Bundessicherheitsrats vorbereitet. Ich denke, dass dadurch Missverständnisse vermieden und Abläufe beschleunigt werden können.

„Für uns ist wichtig, dass das Geld aus dem Sondervermögen schnell in der Truppe ankommt. Das heißt, dass daraus keine langfristigen Entwicklungsprojekte finanziert werden, sondern beschaffungsreife marktverfügbare Lösungen für die Bundeswehr.“

wt: Mit der Ende Februar rhetorisch herbeigeführten außen- und sicherheitspolitischen Zeitenwende scheint Kanzler Scholz zumindest verbal auf verteidigungspolitischem Wechselkurz zu marschieren. Scholz stützt sein Versprechen auf ein durch ihn initiiertes 100 Milliarden Euro-Sondervermögen und die dauerhafte Erhöhung des Wehretats auf über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Eine ministeriell vorgehaltene Prioritätenliste beziffert den militärischen Sonderfinanzbedarf indes auf 102 Milliarden Euro. Zu den 40 Milliarden für die Luftwaffe, 17 Milliarden für das Heer und den zehn Milliarden für die Marine sollen zudem 20 Milliarden für die Munitionsbeschaffung hinzukommen; von Streitkräftebasis, Cyber- und Informationsraum sowie Zentralem Sanitätsdienst ist in den großvolumigen Investitionsplanungen allerdings keine Rede. Die finanziell ausgeworfenen Einzelpositionen ergeben bereits 87 Milliarden, könnten demnach bei weiterer, militärwunschlistengeneigter Ausschöpfung also rasch erschöpft sein. Insgesamt sollen damit einerseits die rüstungspolitischen Großvorhaben Tornado-Nachfolge via Tarnkappen-Kampfjet F-35 finanziert werden, andererseits stehen Kampfdrohnen, Seefernaufklärer P-8, die deutsch-norwegische Uboot-Kooperation und die Einsatzfähigkeit der Schnellen Nato-Eingreiftruppe VJTF 2023 und die strategische wie taktische Raketen- und Drohnen-Abwehr auf der opulent gefüllten Bedarfsliste. Wehrmaterielle Begehrlichkeiten wecken zudem Projekte wie der Schwere Transporthubschrauber, bei dem Teile des Militärs das leistungs- und zukunftsfähigste System favorisieren, aber auch um die 100 leichte, bewaffnungsoptionale Unterstützungshubschrauber für das Heer oder der Nah- und Nächstbereichsschutz für gepanzerte Landsysteme. In Anbetracht der ökonomischen Rahmenfaktoren und der vielschichtigen militärischen Einzelprojekte, wie sieht der Priorisierungsplan der FDP aus, mit dem die Liberalen die Bundeswehr bis 2030 zur stärksten Militärnation Europas ausbauen wollen?

Strack-Zimmermann: Es muss klar sein: Nicht alle Rüstungsinvestitionen in Zukunft werden über das Sondervermögen getätigt. Der Einzelplan 14 muss weiterwachsen. Für uns ist wichtig, dass das Geld aus dem Sondervermögen schnell in der Truppe ankommt. Das heißt, dass daraus keine langfristigen Entwicklungsprojekte finanziert werden, sondern beschaffungsreife marktverfügbare Lösungen für die Bundeswehr. Der Investitionsstau ist enorm. Höchste Priorität hat immer der Erhalt von Fähigkeiten. Hier seien die Tornado-Nachfolge und der Schwere Transporthubschrauber genannt. Aber auch komplexere Projekte wie die Führungsfähigkeit sind unabdingbar für eine moderne Armee. Ein nicht unerheblicher Teil des Sondervermögens wird aber dafür verwendet werden, ein ambitioniertes Ziel zu erreichen: die Vollausstattung der Bundeswehr. Da reden wir dann nicht von gänzlich neuen Projekten, sondern von Ergänzungsbeschaffungen, um unsere Bestände wieder aufzufüllen.

wt: Wenige Wochen vor ihrem Ausscheiden legte Ex-Wehrressortchefin Annegret Kramp-Karrenbauer ein so genanntes Eckpunkte-Papier vor, mit dem sie die Fähigkeitsarchitektur der Bundeswehr zukünftig in die vier Dimensionen-Kommandos Land, Luft- und Weltraum, See und Cyber- und Informationsraum transformieren wollte. Die dabei zu erzielenden Strukturverbesserungen sollten Synergieeffekte auslösen und die ‚Kaltstartfähigkeit‘ der Streitkräfte herbeiführen. Ist das seinerzeitige Zukunftskonzept mittlerweile obsolet oder vor dem Hintergrund der Forderung nach einer kriegsfähigen Armee weiterhin „up to date“?

Strack-Zimmermann: Das Ziel der Kaltstartfähigkeit besteht unvermindert fort. Über den genauen Weg dorthin werden wir noch zu beraten haben. Das Verteidigungsministerium möchte bald das Ergebnis der im Koalitionsvertrag vereinbarten kritischen Bestandsaufnahme präsentieren. Das sollten wir abwarten und daraus unsere Schlüsse ziehen.

wt: Das von Kanzler Scholz anvisierte Sondervermögen basiert auf staatlichen Kreditaufnahmen. Zur obligatorischen Festschreibung der Zweckbindung und zur Umgehung der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Schuldenbremse bedarf das 100 Milliarden-Sanierungspaket einer parlamentarischen Grundgesetzänderung durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Seit den DGB-Kundgebungen am 1. Mai ist allerdings mit einer massiven Massenmobilisierung gegen die vermeintlichen Militarisierungspläne der Regierung zu rechnen, der sich neben den Jungsozialisten, die Linksjugend solid, die Grüne Jugend und Fridays-for-Future sowie Verdi zu groß angelegten Gegen-Kampagnen wie zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses anschließen könnten. Ungeachtet dessen, auch der Bundesrechnungshof warnt vor eilfertigen rüstungspolitischen Kaufräuschen, „Diamanten besetzten Goldranglösungen“ und mahnt angesichts der Notwendigkeit steigender Wehrbudgets eine strenge Haushaltsdisziplin unter Etablierung eines effektiven, korruptionsaversen Forderungscontrollings an. Die aktuellen Bundestagmehrheiten im Blick, wie realistisch ist die mehrheitserforderliche Verabschiedung des ‚Scholzschen‘ Sondervermögens überhaupt, und wäre es aus Ihrer Sicht nicht weitaus realistischer, den Einzelplan 14 ab 2023 ebenso bedarfsgerecht wie flexibel bei jährlich mindestens 70 Milliarden Euro plus X – also dem BIP-entsprechendem Zwei Prozent-Nato-Ziel – zu veranlagen, um damit auch ganz konkret auf global-ökonomische Verwerfungen zeitnah reagieren zu können?

Strack-Zimmermann: Das Sondervermögen wird kommen. Ich denke, dass sich alle Beteiligten der Ernsthaftigkeit und der Dringlichkeit dieser Sache bewusst sind und dementsprechend verantwortungsvoll handeln werden. Es geht bei der Einrichtung des Sondervermögens nicht allein um die zusätzlichen Mittel. Durch dieses Sondervermögen lassen sich überjährige Projekte sehr viel einfacher und besserer finanzieren als bei einer Abwicklung über den jährlichen Haushalt und Verpflichtungsermächtigungen. Es besteht jetzt die Möglichkeit, die Bundeswehr unabhängig von schwankenden Haushaltszahlen langfristig, zuverlässig und angemessen zu finanzieren.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag zu Besuch bei der Bundeswehr in Mali.

wt: Mit der ‚Kölner Erklärung‘ versucht die Union ihre unter der Merkel-Ära verlorengegangene sicherheitspolitische Kompetenz wieder zurückzugewinnen. Das neue Konzeptpapier fordert eine Sicherheitsarchitektur großformatigen Zuschnitts, mit der auch die sicherheitspolitische Fähigkeitslücke zwischen inneren und äußeren Bedrohungslagen bruchfrei geschlossen werden soll. Die Hauptgefahrenherde sieht die Union – neben möglichen Kriegsgefahren – vor allem im globalen Terrorismus und Extremismus, in Desinformationskampagnen, der Clankriminalität und der international Organisierten Kriminalität. Auf der Agenda stehen neben einem institutionalisierten Gefahrenradar auch die Einrichtung eines Nationaler Sicherheitsrats und die Anpassung deutscher Verteidigungskräfte an die neue Wirklichkeit. Sekundiert wird die Forderung durch den CDU-dominierten Reservistenverband, der das Personaltableau der Bundeswehr auf 340.000 Soldaten erhöhen will. Parallel dazu sollen 100.000 Reserve-Soldaten regelmäßig Wehrdienst leisten. Braucht Deutschland möglicherweise ein völlig neu konzipiertes Miliz-System oder eine Nationalgarde, die bereits weit vor einem Kriseneintritt eine Scharnierfunktion zwischen polizeilichen Gefahrenabwehr-Aufgaben und militärischen Aufträgen wahrnimmt – funktionsbewährten Modellcharakter könnten hier der sicherheitspolizeiliche Assistenz-Einsatz der österreichischen Miliz oder Frankreichs neue Nationalgarde haben; wie positioniert sich die FDP angesichts dieser unionsinitiierten Programmatik?

Strack-Zimmermann: Die Union hat in den vergangenen 40 Jahren 33 Jahre lang das Verteidigungs- und Innenressort besetzt. Mit dem Ergebnis müssen wir jetzt umgehen. Wir haben in Deutschland eine klare Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen Polizei und Armee. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Stellen, aber keine neuen hybriden Organisationen. Es ist wichtig, dass wir unsere Reservistinnen und Reservisten nah an der Bundeswehr halten und die Zahl der aktiven Reservisten erhöhen. Denn im Spannungsfall müssen wir uns auf die Reserve verlassen können.

wt: Bis vor Kurzem hat sich Deutschland nahezu ausschließlich als diplomatisch handelnde Friedensmacht definiert und nichts unversucht gelassen, immer wieder die zivilgesellschaftliche Rolle des Landes herauszustellen. Seit wenigen Jahren reden Militärs allerdings davon, dass die deutschen Streitkräfte endlich wieder lernen müssten ‚kriegsfähig“ zu sein. Frau Strack-Zimmermann, Sie haben sich in letzter Zeit dafür stark gemacht, dass auch die Bürger eines demokratisch verfassten Staates über Wehrwillen und Resilienz verfügen müssen. In der Ukraine sehen wir gerade eine unglaubliche Welle an ziviler Solidarität, indem Bürger innerhalb territorialer Verteidigungsstrukturen zu den Waffen greifen und sich den russischen Aggressoren patriotisch kämpfend entgegenstellen. In diesen historisch so bedeutsamen Tagen, was heißt das für Deutschland und seine Bürger, braucht es hier einen völlig neuen, verteidigungspolitisch über Parteigrenzen hinweg reichenden gesellschaftlichen Konsens, um den Gefahren der Zukunft überlebenstüchtig entgegentreten zu können?

Strack-Zimmermann: Wir müssen als Gesellschaft insgesamt resilienter werden. Viele Menschen haben diese Notwendigkeit in den vergangenen Wochen erkannt. Die akute Bedrohung durch einen verheerenden Krieg nur zwei Flugstunden entfernt hat dazu geführt, dass die Öffentlichkeit sich die Frage stellt, ob wir darauf vorbereitet wären. Doch gerade, weil wir uns in den letzten Jahrzehnten von „Freunden umzingelt“ sahen, hat die Landesverteidigung in der kollektiven Wahrnehmung keine Rolle gespielt. Es fehlte glücklicherweise ein realistisches Szenario. Das ist in unseren östlichen Nachbarstaaten anders. Diese haben aus ihrer Historie heraus ein anderes Bewusstsein. Es braucht einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs, wie wir mit äußeren Bedrohungen umgehen wollen und wofür wir bereit sind zu kämpfen. Das kann aber nicht nur von der Politik gesteuert werden, sondern muss in der breiten Gesellschaft stattfinden.

Volker Schubert ist wt-Hauptstadtkorrespondent Politik.

Stefan Nitschke

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