Vom Kriege und der aktuellen Kriegsfähigkeit

18/01/2023

Die traditionelle Informationsveranstaltung des BMVg für den Regionalkreis West der Clausewitz-Gesellschaft, das Bonner Forum der Deutschen Atlantische Gesellschaft und die Sektion Köln-Bonn der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik stand in diesem Jahr unvermeidlich im Zeichen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Für den kurzfristig verhinderten Generalinspekteur der Bundeswehr trug sein Stellvertreter, Generalleutnant Markus Laubenthal, zum Thema “Zeitenwende der Bundeswehr” vor. Der Abteilungsleiter „Ausrüstung“ im Bundesministerium der Verteidigung, Vizeadmiral Carsten Stawitzki, stellte die aktuellen Handlungsfelder im Bereich Rüstung vor.

Nach der Begrüßung des Leiters des Regionalkreises West der Clausewitz-Gesellschaft, Generalleutnant a.D. Jürgen Ruwe, lauschten knapp 200 fachlich versierte Zuschauer im Moltkesaal zunächst den Ausführungen von Generalleutnant Laubenthal zum Thema „Zeitenwende für die Bundeswehr“. Dieser stellte schon zu Beginn heraus, dass die deutsche Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor auch als wichtiges Moment der Landes- und Bündnisverteidigung zu betrachten sei. Hier habe sich etwa die Ringtausch-Methode zur schnellen, bedarfsgerechten Aufrüstung der Verteidiger als praktikabel erwiesen. Ebenso hätten sich die bereits von Deutschland gelieferten Flakpanzer Gepard bewährt und weitere Stückzahlen dieses Typs seien im Zulauf. Und nicht zuletzt unterstütze man an vielen Stellen durch Ausbildung, Munitionslieferungen sowie logistische Dienstleistungen.

Der stellvertretende GenInsp, Generalleutnant Markus Laubenthal, erläuterte die „Zeitenwende der Bundeswehr“.

Konkret begegne die Bundeswehr darüber hinaus selbst der Gefahr, die im Übrigen nicht nur für die Ukraine, sondern ebenso für das gesamte NATO-Bündnis von Russland ausgehe, etwa durch die Stationierung von Patriot-Luftverteidigungssystemen in der Slowakei. Auch das geplante, voll ausgestattete deutsche Bataillon für die eFP Battle Group an der NATO-Ostflanke befinde sich in der Aufstellung, so Laubenthal. Überhaupt zeigten z.B. sowohl der strategische Kompass als auch das Luftverteidigung-Projekt ESSI, dass der deutsche Fokus auf den Verpflichtungen gegenüber EU und NATO liege, zumal internationale Partner auf die „Logistik-Drehscheibe Deutschland“ längst nicht mehr verzichten könnten.

Vor diesem Hintergrund, betonte Laubenthal, müsse auch das Mandat für EUTM Mali überdacht werden, wo wachsende Unwägbarkeiten wie der Umgang mit den Aktivitäten der russischen Gruppe Wagner den Nutzen der Mission infrage stellten. Zugleich müsse die Amtshilfe der Bundeswehr, die den geordneten Umgang etwa mit Ahrtal-Hochwasser und Pandemie erst möglich gemacht habe, zukünftig mit einem „Preisschild“ versehen werden. Nur so ließe sich sicherstellen, dass die Truppe sich auf ihre Hauptaufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren könne.

Ausdrücklich auch im Namen des GenInsp kritisierte der Generalleutnant die überbordende Zentralisierung der Streitkräfte in dem naiven Glauben daran, dass „die Truppe es schon richtet“. Hier müsse eine kritische Top-Down-Bewertung der Strukturen erfolgen, die in einer Neuorganisation mündet und der sowohl die Personal-, als auch die Materialstruktur zu folgen habe. Bei den Beschaffungen mahnte Laubental eine zweckmäßige Mischung aus „Off the shelf“-Käufen und Eigenentwicklungen an und nannte exemplarisch aktuelle Projekte, die bereits im sog. Sondervermögen der Bundeswehr budgetiert sind. Ein Fokus der Bemühungen des GI liege im Bereich der Digitalisierung, die mit der höchsten Priorität vorangetrieben werde.  Außerdem solle die Reserve weiterhin gestärkt werden, um im Bedarfsfall einsatzbereit zu sein und konkrete Aufgaben übernehmen zu können. Angedacht seien hier für Luftwaffe und Marine zunächst der Objektschutz der Liegenschaften, während das Heer auf eine Reservestruktur mit höherem Ausbildungs- und Bereitschaftsstand zurückgreifen können soll, die auch Sicherungsaufgaben im Auslandseinsatz übernehmen kann.

Deutschlands oberster Bundeswehr-Ausrüster, Vizeadmiral Carsten Stawitzki, zitierte Clausewitz in seinem emotionalen Vortrag zur aktuellen Lage der materiellen Ausstattung der Truppe.

Als Reaktion auf Fragen aus dem Auditorium hinsichtlich der Resilienz Deutschlands im Katastrophenfall entgegnete Laubenthal, dass zunächst die Kommunikationswege zwischen militärischen und zivilen Organisationen verbessert werden müssten. Doch dies werde im Zuge der geplanten Reorganisation und weiterer Investments sicherlich gewährleistet. Abgesehen davon dürfe das Auslösen des Katastrophenalarms durch die jeweils Zuständigen nicht als politische Schwäche fehlinterpretiert werden, wenn es, wie im Ahrtal, um den Schutz von Menschenleben geht. Angesprochen auf den Personalstand der Bundeswehr, erklärte der StvGenInsp, dass auch hier die gängigen Verfahren zu Personalgewinnung hinterfragt werden müssten und stellte klar, dass die Truppe zukünftig „Dinge anders tun [muss] als bisher“.

Der schonungslosen und informativen Rede Markus Laubenthals folgte der Beitrag des Abteilungsleiters Ausrüstung im BMVg, Vizeadmiral Carsten Stawitzki, zum Thema „Ausgewählte aktuelle Handlungsfelder der Abteilung Ausrüstung“. Dieser ordnete zunächst die Bedeutung des Wortes „Zeitenwende“ ein, indem er am Beispiel der 95 Thesen Luthers erklärte, dass manche Worte damals wie heute durchaus wirkungsvoller als Schwerter sein können. Bezüglich der angestrebten Bewaffnung der Ukraine sei es wichtig zu verstehen, dass die Industrie weltweit nicht sofort liefern könne, weshalb nüchterne Bilanzierung und sinnvolle Umverteilung die Gebote der Stunde seien. und stellte klar, dass sein Bereich AIN mit rund 100.000 Verträgen pro Legislaturperiode nicht als träge zu bezeichnen sei. Es hapere zumeist an den Prozessen, die sich aus der aktuellen Rechtslage und dem Budget der Beschaffungen ergäben.

Was die Dauer der Unterstützung der Ukraine bei ihrem Abwehrkampf anging, so zitierte Deutschlands oberster Ausrüster, dem Anlass angemessen, Generalmajor von Clausewitz:

„Kriege werden durch Verhandlungen beendet.“

Demnach müsse allein die Ukraine entscheiden, wann über einen Frieden zu verhandeln und in der Folge keine westliche Militärhilfe mehr notwendig sei.

Perspektivisch müsste sich die Bundeswehr auch darauf einstellen, mit neuen Gegnern umgehen zu können, erklärte Stawitzki. So gingen die USA und verschiedene Think Tanks von einer drohenden Konfrontation mit China in den nächsten 10 bis 15 Jahren aus. Man müsse daher die Fähigkeiten der Bundeswehr, als Dreiklang von Personal, Material und Ausbildung, kontinuierlich erhöhen. Denn Fähigkeit, so der Vizeadmiral, bedeute Wirkung und Gefechtswert. Da der Faktor Mannstärke immer weiter an Bedeutung für die Wirkung verliere, gelte es vor jeder Beschaffung, auch insbesondere unbemannte Systeme und moderne Technologien hinsichtlich ihres Gefechtswerts zu bewerten.

Die Fragen, die von Seiten des Publikums auf den emotionalen, ehrlichen Vortrag des Marinemannes folgten, fokussierten stark auf das Fortschreiten des Ukraine-Konflikts und die Lehren, die in Deutschland daraus gezogen würden. Er schloss seine Ausführungen mit einer persönlichen Bemerkung: „Wenn Sie mich fragen – ich bin fest davon überzeugt, dass wir am Ende gewinnen!“

Die Veranstaltung der Clausewitz-Gesellschaft war geprägt von einer offenen, professionellen Atmosphäre, die man angesichts der aktuellen Berichterstattung nur noch bei wenigen Gelegenheiten findet. Der Rahmen und die Personalien der Vortragenden sprechen dafür, dass die Gesellschaft nach wie vor tief in den deutschen Streitkräften verankert und als Gremium akzeptiert ist.

Text und Bilder: Daniel Kromberg

Pressemitteilung

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