Gedanken zur WOLF-Nachfolge

apf

01/04/2023

In den zurückliegenden Jahrzehnten, in welchen der militärische Schwerpunkt der NATO-Mitgliedsstaaten auf Auslandseinsätze gerichtet war, wurden für den täglichen Dienstbetrieb in den Garnisonen sogenannte militarisierte Sport Utility Vehicles (SUV), meist als Pick-Up Variante beschafft. Die Niederländer haben zum Beispiel den VW Amorok in einer geschützten und ungeschützten Variante in Nutzung. Die Bundeswehr den Nissan Patrol oder den Toyota Hilux. Nur um ein paar der möglichen Optionen zu benennen.

Die französischen Streitkräfte ersetzten die 1981 bis 1988 in Lizenz gebauten 13.500 PEUGEOT P4, einem Derivat des Mercedes-Benz WOLF, durch 4.380 Einheiten des militarisierten FORD EVEREST, auch als Véhicule Tactique 4 (VT4) bezeichnet. Für die Spezialkräfte wurden parallel einige der P4 ASPIC (MISTRAL) auf die P4 VIPAIR-Konfiguration umgerüstet. Die Produktverbesserung umfasst neue Führungseinrichtungen, Waffenhalterungen (Dachkonstruktion für MGs bis .50 BMG), Überrollbügel, verbesserte Staumöglichkeiten und eine neue Lackierung. Der Auftragnehmer ist ACS aus Deutschland. Zunächst werden 19 Fahrzeuge umgerüstet und an die Brigade aérienne des forces de sécurité et d’intervention (BAFSI – Luftwaffensicherheits- und Interventionsbrigade) mit den Commandos parachutistes de l’air (Spezialeinheiten der Luftwaffe) geliefert.

Prototyp des Firmenverbundes Fiat-MAN-Saviem (FMS) LKW 0,5t gls (4×4). Quelle: www.fahrzeugbilder.de

Die oben erwähnten Fahrzeuge, fallen alle in die Kategorie zivil geländefähig, also für Schotter- oder Waldwege. Sie sind hingegen nicht militärisch geländegängig, und erfüllen daher nur eingeschränkt die militärischen Fähigkeitsforderungen. Auch eine Eignung für extreme Klimazonen ist ebenfalls zu hinterfragen. Militärische Ausstattung wie Tarnlicht, Schlechtkraftstoffmotoren oder besonders militärisch gehärtete Komponenten findet man in diesen Fahrzeugen auch nicht ab Werk. Dafür sind sie schnell, in großer Stückzahl und oft kostengünstiger zu erhalten.

Mitte der 1960er Jahre versuchten sich die europäischen NATO-Staaten in der gemeinsamen Beschaffung des sogenannten „Europa-Jeeps“. Die kam aber über den Bau von Prototypen nicht hinaus.

Dagegen hat sich, ohne politische Absicht seitens der Nutzerstaaten der Mercedes-Benz „G“ seit seiner Vorstellung im Jahr 1976 zu einer Art „Standard-Jeep“ innerhalb der europäischen Streitkräfte entwickelt. Die von den neutralen Staaten Schweiz und Österreich als PUCH-G beschafften Fahrzeuge müssen hinzugezählt werden.

Außerhalb Europas entschieden sich auch die Streitkräfte von Argentinien, USA, Canada, Malaysia, Singapur, Indonesien und Australien für den G. Zum Teil auch in 6×6 Ausführungen und für ihre Spezialkräfte. So orderte allein das US Special Operations Command (USSOCOM) vor einigen Jahren 1.000 Stück, da die vorhandenen US-Fahrzeuge, u.a. HUMVEE, für Einsätze in den Wäldern Europas und auch in urbanen Gebieten oft zu breit und schwerfällig waren.

Fertigung des Leiterrahmen bei MAGNA / Steyr

Umdenken bei den Fähigkeitsforderungen

Erste Absichtserklärungen der NATO-Mitgliedsländer deuten darauf hin, dass auch im Segment der Geländewagen der Bedarf an „echten militärischen Geländewagen“ wieder zunimmt. Aus Norwegen und Deutschland ist zu vernehmen, dass die „WÖLFE“ ersetzt werden sollen. Trotz reduzierter Streitkräfte und teilweise geänderter Einsatzgrundsätze besteht schon allein für diese beiden Staaten ein Bedarf im mittleren bis oberen 4-stelligen Bereich. Die Niederlande wollen sich der deutschen Beschaffung zudem anschließen und auch ihre veralteten G-Modelle ersetzen.

Aber nicht nur viele WÖLFE müssen ersetzt werden. So wurde auch die Produktion des ebenfalls beliebten Land Rover DEFENDER eingestellt. Auch hier besteht bei vielen Nationen Bedarf an einem adäquaten Ersatzfahrzeug. Dennoch wollen viele Nutzerstaaten lange Entwicklungszeiten vermeiden und auf sogenannte „Military of the Shelf (MOTS)“ Produkte zurückgreifen. Dies garantiert eine, in der Regel, schnelle und gefahrlose Lieferung und Ausstattung.

ENOK Airborne (AB), einer der Bewerber um die WOLF-Nachfolge. Er wird als VARACAL durch Rheinmetall, ACS und Mercedes-Benz zusammen angeboten. (Foto: AF)

Die Entwicklung eines passenden Fahrzeuges inklusive des Aufbaus von entsprechenden Fertigungskapazitäten für solche Stückzahlen ist nicht eine Frage von Monaten sondern von Jahren. Die üblichen Anlaufschwierigkeiten und die Lernkurve bis zum Erreichen des geforderten Qualitätsstandards verschieben die Auslieferung der ersten Test- und Serienfahrzeuge nochmals. Die Mercedes-Benz G-Klasse, wird sowohl zivil als auch militärisch schon seit Jahrzehnten in Graz, Österreich hergestellt. Das Fahrzeug wird in einer modernen Fließbandfertigung produziert.

Zur Veranschaulichung ein Blick in die Rahmenfertigung bei MAGNA, dem Hersteller des Mercedes-Benz G. Allein für die Fertigung des Rahmens setzt MAGNA knapp 50 Roboter ein. Rund 80 Meter Schweißnaht pro Rahmen werden gezogen, knapp 200 Einzelteile verbaut. Damit ist MAGNA in der Lage etwa 50.000 Rahmen pro Jahr im 2-Schicht Betrieb zu produzieren. Aufgrund der hohen Nachfrage, produziert Mercedes-Benz zudem Komponenten im eigenen Werk bei Starkom, im slowenischen Maribor.

Im Dezember 2020 feierte Mercedes die Herstellung des 400.000 Jubiläums-G. Obwohl Mercedes keine genauen Zahlen veröffentlicht, kann man davon ausgehen, dass sich die Produktionszahlen des G langsam der Größenordnung von 500.000 Fahrzeugen nähert.

INEOS GRENADIER Vorbereitung der Serienfertigung

Britisch-französischer Defender Ersatz

Nach dem Aus der Produktion des Land Rover Defender hat der vermögende Brite Jim Ratcliffe entschieden, den INEOS Grenadier zu bauen. Die Entwicklungen bei der britischen Firma INEOS Automotive Limited war in den letzten Jahren eindrucksvoll. Das Fahrzeug soll der würdige und robuste Nachfolger des Defender sein. 2017 wurde das Unterfangen Grenadier gestartet, 2020 wurden finale Designs vorgestellt, im Dezember 2020 wurde das Smart Produktionswerk im französischen Hambach erworben und seit Oktober 2022 laufen dort die ersten Fahrzeuge vom Band. Die Entwicklung hat gemäß Branchenkreisen einen 9-stelligen Euro-Betrag gekostet. Von der Idee bis zum Produktionsstart sind über fünf Jahre vergangen. Ein solches Unterfangen wäre ohne die Überzeugung eines Milliardärs nicht möglich. Das Fahrzeug wurde zusammen mit Magna Steyr aus Österreich entwickelt.

Das Interesse am Grenadier ist groß, es liegen laut Herstellerangaben bereits 15.000 Vorbestellungen vor. Die circa 1.300 ehemaligen Mercedes-Benz (Smart) Mitarbeiter, die im Automobilbau geschult sind, wurden übernommen. Wann- und in welchem Umfang der erste militärische Kunde beliefert werden kann bleibt abzuwarten. Der Grenadier wird von einem Euro 6-Dieselmotor von BMW angetrieben. Für das Militär steht dieser Motor seitens BMW aber nicht zur Verfügung.

INEOS Grenadier

Abschließend lässt sich festhalten, dass nach aktueller Recherche es in Europa im Marktsegment der militärischen Kleinfahrzeuge bis ca. 5 Tonnen nur noch die Mercedes-Benz G-Klasse als echtes 4×4 Geländefahrzeug gibt, skalierbar und serienfertig. Dazu kommt, dass Mercedes vor kurzem die neue Baureihe 464 vorgestellt hat. Es handelt sich um eine deutlich leistungsgesteigertes sowie robusteres Fahrzeug. Diese Baureihe verfügt, wie die alten WÖLFE, über die militärischen Sonderausstattungen ab Werk. Hatten die Greenliner 300 GD noch einen 185PS Motor, stehen in der BR 463 nun 245 PS zur Verfügung. Gleichzeitig hat sich das Drehmoment mit 600 Nm nahezu verdoppelt. Die Anhängelast von 3.500 kg eröffnet in dieser Klasse neue Dimensionen im Materialtransport. Nicht zu vergessen sind die Möglichkeiten, welche sich für die geschützten Varianten ergeben. Der militärische Nutzer kann mit geschützten Fahrzeugen rechnen, welche bisher in dieser Klasse nicht zu realisieren waren.

Die Besatzung hat mehr Platz in der Kabine, unter anderem durch das neue 9-Gang Getriebe (2 Gänge mehr als bisher) welches mittels Wipphebel geschaltet wird. Dies schafft Platz in der Mittelkonsole, ermöglicht eine effiziente Verstauung und erhöht den Freiraum für die Soldaten.

FORD EVEREST / ARQUUS VT4

Die „limb home capability“ üblicher Weise durch runflat inlays und geschütztem Tank dargestellt erhält mit dem Emergency Override Switch (EOS) eine weitere Möglichkeit trotz Schaden den Auftrag weiter durchzuführen. Bewusst werden mögliche Motorschäden in Kauf genommen, um dadurch die Überlebens- und Durchsetzungsfähigkeit der Besatzung zu erhöhen.

Dies ist einzigartig in Europa. Auch erste Sondervarianten auf Basis dieser Baureihe sind im Markt zu sehen. Rheinmetall bietet gemeinsam mit Mercedes-Benz und ACS Armoured Car Systems GmbH dieses Fahrzeug für die niederländische/deutsche Luftlandeplattform an. Das starke Konsortium KMW / DEFENTURE ist weiterhin im Wettbewerb, GDELS hat entschieden sich nicht weiter an der Ausschreibung zu beteiligen.

Defenture ATTV (Air Transportable Tactical Vehicle, auch als VECTOR oder GRF bezeichnet) ist ein weiterer Bewerber um die WOLF-Nachfolge.

Andere am Markt verfügbare Fahrzeuge sind entweder deutlich leichter, beispielsweise Polaris MRZR-4D, der SRTV-SXV (Search and Rescue Tactical Vehicle Side by Vehicle) von BC Customs aus den USA, oder weniger militärisch gehärtet und geländegängig wie der Toyota Hilux, die neuen Generationen des Toyota Land Cruiser, oder Volkswagen Touareg.

Dieser Exkurs zeigt, dass es erhebliche Vorlaufzeiten bedarf, bis die Industrie relevante Stückzahlen liefern kann. Was einmal „abgebaut“ worden ist, muss anschließend kosten- und zeitintensiv wieder aufgebaut werden. Dies gilt sowohl für schwere Waffensysteme als auch militärische Kleinfahrzeuge.

Luftbild Werk Graz MAGNA

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