Wolodymyr Selenskyj: „Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine. Keine Entscheidung über Europa ohne Europa.“
Foto: Münchner Sicherheitskonferenz/Kuhlmann
Äußere Sicherheit – innere Bedrohung
Von den politischen Ereignissen förmlich überrollt wurde die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) 2025 im Februar schon. Niemand hatte mit den klaren Worten des Vize-Präsidenten der Vereinigten Staaten gerechnet. James David Vance sagte gleich zu Beginn seiner Rede: „Wir versammeln uns auf dieser Konferenz natürlich, um über Sicherheit zu sprechen. Und normalerweise meinen wir damit Bedrohungen unserer äußeren Sicherheit. Ich sehe hier viele große militärische Führer versammelt.“ Die Trump-Administration glaube, dass es eine vernünftige Einigung zwischen Russland und der Ukraine geben könne. Wichtiger sei aber, dass Europa in „großem Maße“ für seine eigene Verteidigung eintrete. Dabei bereite ihn aber eine Bedrohung von innen Sorgen, nämlich der Rückzug Europas von einigen seiner grundlegendsten Werte. „Werte, die es mit den Vereinigten Staaten von Amerika teilt“, so der Vize-Präsident.
Für deutsche Ohren hat Vance dann zu wenig laut die europäischen Sicherheitsinteressen bestätigt. Im Gegenteil, er verwies auf die Eigenverantwortung der Europäer für ihren eigenen Schutz. Seine Rede wurde zu einem Weckruf aus Washington.

Die MSC bot die Möglichkeit, der „Responsibility to protect“ mehr Realität zu verschaffen: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner Rede „Defiance and Diplomacy: Prospects for Ukraine’s Future“ die 150.000 Soldaten Russlands als die größte Bedrohung für einen Frieden genannt. Da diese auch in Belarus stationiert seien, gehe von ihnen eine Bedrohung für westliche Länder aus. Selenskyj nannte dann eine Waffe, die sein Land im dreijährigen Krieg mit Russland perfektioniert habe: „Die Ukraine ist weltweit führend im Drohnenkrieg“, sagte Selenskyj. Tatsächlich hätten die russischen Streitkräfte mit Shahed-Drohnen Anfangs Erfolg gehabt, aber die Ukraine wurde schnell fähig, die Angriffsobjekte zu detektieren und auch zu bekämpfen. Etwa 90% der Kampfdrohnen konnten so vernichtet werden. Hinzu kommt, die meisten Systeme dieser KI-gestützten Angriffsdrohnen werden im Land selbst produziert. Europa müsse seine eigene Zukunft gestalten und brauche eigene Streitkräfte, die aber nicht die der Nato ersetzen sollten.
Selenskyj plädierte weiter für eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft. Sein Land werde nie ein bilaterales Friedensabkommen akzeptieren, welches über ukrainische Köpfe verhandelt worden sei: „Keine Entscheidung über die Ukraine ohne die Ukraine. Keine Entscheidung über Europa ohne Europa.“ In seinen Worten klangen die mittlerweile bestätigten Zweifel an, ob die USA weiterhin Bündnispartner von Europa bleiben werden. Der Ukrainer zählte aber trotz seiner Skepsis gegenüber Amerika zu den Unterstützern Trumps. Mit ihm und seinem Team müsse man sprechen – eine wichtige diplomatische Investition. Über weitere Zusagen der westlichen Partner oder gar die Ausgestaltung eines Friedensabkommens wurde im Laufe des internationalen Treffens nichts bekannt. Selenskyj endete mit dem Satz: „Das neue Jahr beginnt mit der MSC – es beginnt jetzt“.
Während der Konferenztage gab es auch vertrauliche Informationen in Sachen deutscher Verteidigung durch Verteidigungsminister Boris Pistorius. So viel lässt sich dazu festhalten: In der deutschen Politik wachsen durchaus die Zweifel, ob die Nato einen europäischen Frieden auch in Zukunft sichern kann. In jedem Fall bräuchte es fünf bis sieben Jahre, um die militärischen Fähigkeiten weiter auszubauen. Auch personell. Falls ein Abzug amerikanischer Truppen früher erfolgen oder die USA ihre Präsenz reduzieren würden, entsteht ein Ernst zunehmendes Problem. Andererseits hat US-Verteidigungsminister Pete Hegseth nicht damit gedroht, man ziehe die US-Truppen aus Teilen Europas ab. Es gibt eine wage Vermutung zur Taktik der neuen US-Regierung: Nämlich – ein wenig Chaos zu erzeugen, um die Verbündeten zur Aufrüstung und zur vollen Übernahme ihrer Verteidigungsverantwortung zu zwingen. Dann wären die Störungen rein atmosphärischer Art. JD Vance sagte: „Es ist die Aufgabe der Demokratie, diese großen Fragen an der Wahlurne zu klären“. Amerika hat diese Wahl bereits hinter sich. Deutschland wartet nach der Bundestagswahl auf ein entsprechendes Regierungsprogramm.
General Dr. Christian Freuding nahm an dieser Information teil. Er ist der wichtigste militärische Fachmann für den Krieg in der Ukraine. Er rät zur Gelassenheit hinsichtlich der Unterstützung durch die Amerikaner in der Sache. Immerhin seien 60% der Unterstützungsleistungen der Nato-Partner 2024 aus Europa und Kanada geleistet worden. Bei Munition seien es sogar 80% gewesen. Damit ließ sich ein Gutteil der amerikanischen Unterstützung durch die Europäer kompensieren. Bei der militärischen Unterstützung in Höhe von 164 Mrd. Euro kommen 28 Mrd. aus Deutschland. 400 Mrd. Euro habe die Ukraine bislang erhalten. Davon 44 Mrd. aus Deutschland, das damit der größte militärische Unterstützer der Ukraine in Europa sei. Im Bereich Luftverteidigung sei Deutschland mit Patriot- und Iris-T-Systemen besonders stark. Ebenfalls herausragend sei die Lieferung von 140 Schützenpanzern, 120 Kampfpanzern und fast 60 Flugabwehrkanonenpanzern. Schließlich würden diesjährig 10.000 ukrainische Soldaten in Deutschland ausgebildet.
Aufschlussreich entwickelte sich ein Forum „Pay or Prey? NATO, the U.S. and Transatlantic Security”. Unter der Moderation des vormalig so erfolgreichen MSC-Chefs Wolfgang Ischinger sprachen Verteidigungsexperten miteinander: Die US-Senatoren Jeanne Shaheen (Demokraten) und Lindsey Graham (Republikaner) mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Der gab sich optimistisch zur Frage der Weiterentwicklung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Aber gleichzeitig stellt sich die Frage, wie die Nato bei einem möglichen Rückzug der Amerikaner künftig geführt werden solle. Die beiden Senatoren waren sich darin einig, dass die Verteidigungsausgaben den Bedrohungen angemessen sein müssten (Graham) und sie eine „Botschaft an unsere Feinde“ seien (Shaheen). Vor dem Beginn des Ukrainekrieges habe der Westen womöglich den Fehler gemacht, die Ukraine nicht noch mehr wirtschaftlich zu unterstützen, analysierte Graham und die Demokratin stellte die für den europäischen Kontinent überlebenswichtige Frage: „Wie können wir Putin davon abhalten, noch einmal ein Land zu überfallen?“ An einem solchen Szenario könnten auch die USA kein Interesse haben, da sie dann erneut zum Eingreifen gezwungen wären. Frau Shaheen sah überhaupt wenig Logik darin, einen Bündnispartner anzugreifen. Senator Graham schlug sich politisch dann doch auf die Seite von JD Vance, als er sagte, man dürfe auch in Deutschland die AfD nicht „eliminieren“. Er gebrauchte das englische Wort „eliminate“, das allerdings nicht die Bedeutung von „auslöschen“, sondern eher von „beseitigen“ hat. Der Amerikaner bestätigte auch die international starke Position von Trump: In dessen vierjähriger ersten Präsidentschaft sei machtpolitisch nichts passiert. „Putin hat Angst vor Trump“, meinte Graham.
Zur Finanzierung der Verteidigungsausgaben sagte Rutte, in Zukunft würden mehr als 3% des BIP in Europa zur Verfügung sein: „Es ist so viel Geld im Orbit“. Er widersprach damit den öfter zu hörenden Zweifel am Willen der Europäer für ihre Sicherheit selbst zu sorgen.
Ischinger wandte die sicherheitspolitische Sicht noch in eine andere Richtung: Es frage sich: „Wird Trump die Nähe zu Moskau suchen und Putin aus der Umarmung durch die Chinesen lösen?“. Er sehe darin eine mögliche Strategie Amerikas, denn es gelte weiterhin: Der Hauptgegner der USA heißt China. Das transatlantische Verteidigungsbündnis ist in jedem Fall nicht am Ende, wenn es auch in seiner Finanzierung auf die Schultern der europäischen Bündnispartner gestellt werden muss. Offene Ohren bei den US-Senatoren gäbe es in jedem Fall.