BundesWEAR: Ersteinkleidung von Rekruten – Wenige Minuten statt mehrerer Tage

02/05/2023

Rekrutinnen und Rekruten legen jedes Jahr lange Strecken zurück, um ihre Ersteinkleidung zu erhalten. Zudem ist der organisatorische Aufwand für Ausbilder und Servicestationen groß. Mit der KI-gestützten App „BundesWEAR“ hat die BWI eine digitale Lösung für den Prozess entwickelt. Sie könnte den Prozess deutlich beschleunigen und effizienter gestalten. Im Gespräch erläutert René Tedeski von der BWI-Innovationseinheit innoX die Hintergründe. René Tedeski ist Experimentleiter Digitales Einkleiden bei BWI innoX.

Die App „BundesWEAR“ ermittelt auf Basis eines Videoscans 13 verschiedene Körpermaße.

Herr Tedeski, Soldaten mit der richtigen Kleidung zu versorgen, klingt beim ersten Hören relativ einfach. Warum braucht der Prozess Digitalisierung?

Tedeski: In der Praxis ist der Prozess ziemlich aufwendig. Das liegt schon daran, dass jährlich rund 16.500 Rekrutinnen und Rekruten eingekleidet werden müssen. Für die Ersteinkleidung müssen sie in eine der bundesweit 83 Servicestationen fahren, die Bekleidung für alle Einheiten vorhalten. Im Bestfall werden sie dort von einem Schneider vermessen, normalerweise ist allerdings kein Schneider vor Ort und die Vermessung findet „Pi mal Daumen“ statt. Die Ausbilder müssen in jedem Fall eine Fahrt dorthin organisieren. Während des Prozesses erfasst das Personal in den Servicestationen jeden Bekleidungsartikel schriftlich. Es ist also einiges an Bürokratie nötig, um den Prozess am Laufen zu halten. Zudem gibt es weitere Hürden. Beispielsweise verfügen lediglich 24 Stationen über einen Bekleidungspool für Frauen, was die Wege noch einmal verlängert. Rekrutinnen und Rekruten müssen erneut anreisen, sollte ihre Größe nicht vorrätig sein. Zudem fallen Kleidungsstücke unterschiedlich aus. Eine Feldbluse in Größe M kann bestens passen, eine Jacke in der gleichen Größe aber zu eng sein. Eine Rücksendung per Post ist jedoch nicht möglich, der Umtausch muss manuell erfolgen – mit zusätzlichem Organisations- und Reiseaufwand.

Weite Wege, viele Stunden: Die Ersteinkleidung von Rekruten erfordert hohen Aufwand.

Lässt sich dieser Gesamtaufwand in Zahlen greifen?

Tedeski: Ja, allein in der Grundausbildung erfordern An- und Abreisen, Organisation, das Maßnehmen und die Ausgabe der Bekleidung mehr als 500.000 km an Fahrtwegen und 560.000 Stunden an Dienstzeit. Eine digitale Lösung kann diesen Aufwand erheblich reduzieren.

Für Ihre Lösung, die App „BundesWEAR“, haben Sie im vergangenen Jahr die Auszeichnung als „Bestes Digitalisierungsprojekt in Bund, Ländern und Kommunen“ beim 21. eGovernment-Wettbewerb erhalten. Wie funktioniert die Lösung?

Tedeski: BundesWEAR nutzt KI, um die Größen für die einzelnen Kleidungsstücke von Anfang an richtig zu ermitteln. Die Soldaten scannen ihre Maße selbst per Smartphone-Kamera ein, die KI verarbeitet die Ergebnisse. Zunächst fragt die App nach Alter, Größe und Gewicht. Dann öffnet sich die Kamera, ein Sprachassistent leitet den User durch den weiteren Prozess. So erfährt er, wie er das Smartphone positionieren und sich davor bewegen muss. Das Ganze wird per Video aufgezeichnet. Anschließend berechnet das System automatisch 13 verschiedene Körpermaße, zum Beispiel Hüftumfang oder Beinlänge, mittels KI. Auf dieser Basis kann die KI die Produktgröße genau bestimmen. Aus Datenschutzgründen löscht sich die Videoaufnahme danach automatisch selbst. Die Messdaten werden an ein Shopsystem übermittelt, das Kleidungsstücke in der jeweils passenden Größe auswählt. Wie beim Onlineshopping kann sich der User Bestellungen an individuelle Adressen liefern lassen, zum Beispiel an die private Anschrift oder an eine beliebige Kaserne.

Die Vermessung per App dauert nur wenige Sekunden.

Wie profitieren die Soldaten darüber hinaus von der Lösung?

Tedeski: Sie sparen Zeit und Wege. Der gesamte Prozess der Ersteinkleidung lässt sich von mehreren Tagen auf einige Minuten reduzieren. Der KI-gestützte Kamerascan dauert nicht länger als zehn Sekunden und der gesamte Bestellvorgang maximal zehn Minuten. In unseren Testläufen brauchten die Probanden im Schnitt sieben Minuten für den gesamten Vorgang. Ein weiterer Vorteil: Rekrutinnen und Rekruten können ihre Bekleidung noch vor Dienstantritt erhalten. Beim bisherigen Prozess kommt es vor, dass sie in den ersten Tagen noch Sport- oder Zivilbekleidung tragen müssen. Letztlich profitieren aber alle Prozessbeteiligten.

Inwiefern?

Tedeski: Auch der organisatorische Aufwand für Ausbilder und Ausbilderinnen verringert sich deutlich, allein in der Reiseorganisation. Die bürokratische Last für das Personal in den Servicestationen sinkt, weil das händische Vermessen und die manuelle Dokumentation der Kleidungsstücke entfallen. Warenwirtschaft und Beschaffung werden effizienter und bedarfsgerechter, da die KI anhand historischer Daten lernt, wann welche Kleidungsstücke in welcher Größe und Anzahl benötigt werden. Zudem hat die App schon im Testlauf einige wertvolle Erkenntnisse zutage gebracht: Beispielsweise fiel auf, dass Bekleidung für Frauen nicht in der gleichen Bandbreite verfügbar ist wie Herrenbekleidung, so dass bisweilen auf abweichende Größen zurückgegriffen werden muss. Ein Rückschluss für die Bundeswehr könnte also sein, dass das Sortiment in Zukunft erweitert werden sollte.

René Tedeski ist Experimentleiter Digitales Einkleiden bei BWI innoX.

Wie ist die Lösung von der Idee bis zur Umsetzung entstanden?

Tedeski: Wir haben dabei mit unterschiedlichen Partnern und natürlich ganz eng mit unserem Kunden, der Bundeswehr, zusammengearbeitet. Der Vorschlag, den Einkleidungsprozess bei der Bundeswehr zu digitalisieren, kam vom Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe [WIWeB]. Das WIWeB kümmert sich u. a. um die Entwicklung und Prüfung funktionaler Bekleidung für die Bundeswehr. Den Kolleginnen und Kollegen vom WIWeB fehlte es an den notwendigen Maßdaten, die für die Optimierung und Passgenauigkeit notwendig sind. Diese wurden beim analogen Maßnehmen schlichtweg nicht gespeichert. Zudem erkannten sie das gewaltige Potenzial, den Prozess effizienter zu gestalten, und reichten den Vorschlag innerhalb einer Innovationskampagne der BWI innoX bei uns ein. Das war der Startschuss für unser Innovationsexperiment „Digitales Einkleiden“.

Wie ging es dann weiter?

Tedeski: Die Technologie zur Größenvermessung mittels KI haben wir gemeinsam mit zwei Partnern entwickelt. Das Shopsystem lieferte ein auf Berufsbekleidung spezialisierter Dienstleister. Damit hatten wir auch das Warenwirtschaftssystem, das die Messdaten aus der App den Kleidergrößen zuordnet. Im Anschluss daran haben wie die Software auf verschiedene Spezifika der Bundeswehr angepasst, dafür mussten wir unter anderem die Kleidung komplett neu vermessen. Im nächsten Schritt haben wir das System aufgesetzt und die relevanten Nutzerdaten hinterlegt. Über einen Namensgenerator erstellten wir circa 500 Pseudo-Accounts und legten sie als Benutzer im System an. Denn später sollte jeder Soldat und jede Soldatin ein eigenes Profil besitzen, in dem wichtige Informationen hinterlegt werden können. Der wichtigste Schritt war jedoch die Integration der KI-Systeme. Für die Testläufe haben sich rund 70 Probanden der Bundeswehr freiwillig gemeldet. Über die Pseudo-Accounts durften unsere Testpersonen die Anwendung von Anfang bis Ende durchspielen. Für das Experiment haben wir uns zunächst auf die Erstausstattung beschränkt, in diesem Fall die Feldbekleidung.

Was sind jetzt die nächsten Schritte? Wann wird das Innovationsexperiment als Lösung bei der Bundeswehr eingeführt?

Tedeski: Die Erprobungsphase von „BundesWEAR“ ist mittlerweile abgeschlossen. Aktuell prüft die Bundeswehr den Einsatz der App. Auch interessant: Grundsätzlich könnte eine Anwendung wie diese auch über die Grenzen der Bundeswehr hinaus als Blaupause dienen – z. B. in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, die Dienst- oder Sicherheitsbekleidung benötigen, etwa Polizei und Feuerwehr.

Stefan Nitschke

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