Autonome unbemannte Bodenfahrzeuge können zur Unterstützung infanteristischer Kräfte bei gefährlichen Einsätzen mit Waffensystemen eingesetzt werden. Die Aufnahme zeigt Rheinmetalls Mission Master SP mit loiterfähiger HERO-Munition des israelischen Unternehmens UVision. (Foto: Rheinmetall/UVision)

Loitering Munitions – Kamikazedrohnen: Das Comeback der Präzision aus der Luft

Lutz Krieg

Autonome unbemannte Bodenfahrzeuge können zur Unterstützung infanteristischer Kräfte bei gefährlichen Einsätzen mit Waffensystemen eingesetzt werden. Die Aufnahme zeigt Rheinmetalls Mission Master SP mit loiterfähiger HERO-Munition des israelischen Unternehmens UVision.

Foto: © Rheinmetall/UVision

Sie kreisen geduldig über dem Gefechtsfeld, erfassen Ziele autonom oder manuell und schlagen in Sekundenbruchteilen zu: Loitering Munitions – auch bekannt als Kamikazedrohnen – verändern das Gefechtsbild grundlegend. Einst Nischensysteme, sind sie heute taktische Hauptakteure in modernen Konflikten. Auch deutsche und europäische Firmen mischen im rasant wachsenden Markt mit.

Definition und taktische Rolle

Loitering Munitions sind unbemannte Flugkörper, die eine Kombination aus Aufklärungsdrohne und Präzisionswaffe darstellen. Sie können über längere Zeiträume im Zielgebiet verweilen („to loiter“) und bei Bedarf ein Ziel angreifen – entweder ferngesteuert oder durch Autonomiealgorithmen. Ihr Vorteil liegt in der Kombination aus Flexibilität, Echtzeitaufklärung und Wirkung – oft zu geringeren Kosten als klassische Lenkwaffen oder Kampfdrohnen.

Gefechtsfeld Ukraine: Das Realexperiment

Der Ukrainekrieg gilt als Wendepunkt für den operativen Durchbruch der Loitering Munitions. Systeme wie die US-amerikanische Switchblade, die iranischen Shahed-Drohnen oder das polnische Warmate-System haben gezeigt, wie effektiv diese Waffen in asymmetrischen wie konventionellen Szenarien wirken können – gegen Fahrzeuge, Kommandoposten oder Luftabwehrstellungen.

Deutsche und europäische Anbieter

Auch deutsche Unternehmen forcieren ihre Entwicklungen:

  • Dynamit Nobel Defence (DND) bietet mit dem „RGW Loiter“ ein System an, das auf der bewährten RGW-Familie basiert. Es soll infanteristisch einsetzbar, leicht transportabel und modular steuerbar sein.
  • Rheinmetall arbeitet an mehreren Konzepten, darunter das LM-Box-System, ein Containerwerfer für Mehrfachstarts sowie eine Anbindung an Battle Management Systeme. Rheinmetall kooperiert zudem mit UVision (Israel) für das HERO-System.
  • STARK Defence – ein Newcomer mit Sitz in Deutschland – entwickelt mit dem System „Stalker 600“ eine schwere Loitering Munition mit bis zu 4 kg Sprengladung und einer Reichweite von über 100 km. Zudem wurde das OWE-V-System „Virtus“ vorgestellt – eine VTOL-fähige, wiederverwendbare Munition mit bis zu 5 kg Sprengkopf, die besonders in elektronisch umkämpften Umgebungen eingesetzt werden kann.
  • Helsing HX-2, ein weiteres deutsches System, wurde bereits in der Ukraine eingesetzt und zeichnet sich durch hohe Autonomie und Wirksamkeit in GPS-denied-Zonen aus.
  • Airbus Defence and Space integriert Loitering-Fähigkeiten in übergeordnete C4ISR-Architekturen. Konzepte mit KI-gestützter Zielauswahl und Schwarmtaktiken wie „ClusterStrike“ werden aktuell erprobt.

Europäische Kooperationen und Herausforderungen

Die EU fördert im Rahmen von PESCO und EDIDP gemeinsame Projekte zur Entwicklung europäischer Loitering Munitions. Die Herausforderung: Standards, Souveränität und industrielle Fertigungskapazitäten müssen aufeinander abgestimmt werden. Frankreich, Polen, Deutschland und Estland treiben unterschiedliche nationale Programme voran – eine Konsolidierung wird erwartet.

Taktische Evolution: Schwärme und Autonomie

Ein Zukunftsaspekt ist die Entwicklung autonomer Schwärme. Loitering Munitions könnten in Formationen operieren, Ziele priorisieren und selbstständig zuschlagen. Erste Tests laufen, etwa mit dem Airbus-Projekt „ClusterStrike“ und Konzepten von Rheinmetall/MBDA.

Ethik und Völkerrecht

Mit zunehmender Autonomie wachsen ethische Fragen: Wer trägt Verantwortung bei Fehlern? Welche Regeln gelten im hybriden Kriegsbild? Während Loitering Munitions als „präzise und zurückhaltend“ gelten, stellt ihr möglicher Missbrauch – etwa durch Terrorakteure – eine neue Herausforderung dar.

Fazit

Loitering Munitions sind keine Randerscheinung mehr. Sie verkörpern den Wandel von linearer Kriegsführung hin zu vernetzten, asymmetrisch flexiblen Operationsformen. Für die Industrie bedeuten sie Innovationsdruck, für die Truppe ein neues Werkzeug – präzise, mobil, verhältnismäßig günstig. Und für die Politik: ein wachsender Handlungsbedarf in Rüstungskontrolle, Ethik und internationaler Zusammenarbeit.

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