Kennzeichnende Merkmale deutscher Sicherheitspolitik und damit des Handelns deutscher Streitkräfte sind eine tiefe Integration in internationale Bündnisstrukturen sowie der Einsatz im multinationalen Verbund. Darüber hinaus orientiert sich das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr an den Planungszielen und -forderungen von Nato und EU, welche die Grundlage für eine enge Verzahnung und fortschreitende Integration europäischer Streitkräfte und die Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato sind.
Die notwendige Bündnisfähigkeit bedeutet für Deutschland u. a., ein breites Spektrum von interoperablen Fähigkeiten vorzuhalten, um die Effektivität und Effizienz im Bündnis zu steigern. Durch das Einbringen solcher Kräfte im Schulterschluss mit anderen Nationen wird eine Leistungssteigerung im Verbund erreicht, bestehende Fähigkeitslücken werden geschlossen. Eine Voraussetzung dafür ist die multinationale Zusammenarbeit mit dem Ziel, mit einem wirksamen interoperablen Fähigkeitsverbund aus Rahmen- und Partnernationen, basierend auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit, umfassende militärische Handlungsoptionen zu bieten und somit die Leistungs- und Durchhaltefähigkeit zu erhöhen.
Weitergehend werden durch langfristige bi- und multilaterale Kooperationen das gegenseitige Vertrauen und ein gemeinsames Verständnis gestärkt, die Kohäsion und die gemeinsame Handlungsfähigkeit der Partnernationen erweitert sowie der Ausbau regionaler Sicherheitsstrukturen gefördert. Auch wenn die Logistik grundsätzlich in nationaler Zuständigkeit liegt, zwingen knappe Ressourcen die Verbündeten in Nato und EU immer stärker, diese entscheidende Aufgabe in gemeinsamer Verantwortung („collective responsibility“) wahrzunehmen. Standardisierung und Interoperabilität sind dabei wesentliche Schlagwörter auf dem Weg zur Verwirklichung gemeinsamer Fähigkeiten und wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten. Für das Logistikkommando der Bundeswehr (LogKdoBw) ist die multinationale Zusammenarbeit – neben den bundeswehreigenen Fähigkeiten sowie Kooperationen mit dem zivilen Wirtschaftssektor – ein wesentlicher Pfeiler, auf den sich das Logistische System der Bundeswehr (LogSysBw) in Zukunft noch stärker abstützen muss. Daraus folgend wird Multinationalität im LogKdoBw durch bi- als auch multilaterale Zusammenschlüsse zur Entwicklung gemeinsamer interoperabler logistischer Fähigkeiten, Standards und Partnerschaften – gemäß den ministeriellen Vorgaben vorangetrieben – entwickelt und gefördert.
Strukturierte Partnerschaft in der Logistik
Die Strukturierte Partnerschaft in der Logistik (SPiL) zwischen dem LogKdoBw und dem Territorialen Verteidigungs- und Unterstützungskommando der ungarischen Streitkräfte ist ein Paradebeispiel einer operativen, mehrwertbringenden, binationalen Kooperation. Ziel ist die Entwicklung gemeinsamer, interoperabler logistischer Fähigkeiten für den Transport militärischer Güter und für den Aufbau, Betrieb und Abbau eines Feldtanklagers auf taktischer Ebene. In den Unterprojekten der SPiL werden gemeinsam die erforderlichen Grundlagendokumente für die Zusammenarbeit erarbeitet (SAFETY DOCTRINE) und militärische Fähigkeiten entwickelt, wie z. B. binationale Transportkräfte in Kompaniestärke (SAFETY TRANSPORT) und Kräfte zum Betrieb eines Feldtanklagers in Zugstärke (SAFETY FUEL).
Mit der Teilnahme an den Großübungen wie DEFENDER EUROPE, CAPABLE LOGISTICIAN oder TRIDENT JUNCTURE wurden die binationalen Fähigkeiten in den letzten Jahren zielgerichtet im multinationalen Umfeld weiterentwickelt und unter Beweis gestellt. Höhepunkt der engen Zusammenarbeit war jeweilig die Etablierung einer formellen Patenschaft zwischen den betroffenen Verbänden – 2018 zwischen dem deutschen Logistikbataillon 472 (LogBtl 472) und dem ungarischen 2. Unterstützungsregiment sowie 2022 zwischen dem deutschen Spezialpionierregiment 164 (SpezPiRgt 164) und der ungarischen Materialversorgungslagerbasis. Der chronologische Verlauf von 2012 bis 2023 verdeutlicht, dass eine bilaterale Fähigkeitsentwicklung keine kurzfristige Angelegenheit ist. Sie ist langfristig angelegt. Ganz nach dem oft gebrauchten Vergleich mit einem Marathon, bei dem das Ziel nach einem langen Lauf am Ende schließlich mit einem Endspurt erreicht wird.
Deutsch-ungarische Kooperation im Bereich Feldtanklager – SAFETY FUEL
Seit 2012 üben und trainieren Soldaten des SpezPiRgt 164 und der ungarischen Materialversorgungsbasis in der Übungsserie SAFETY FUEL jährlich ihre gemeinsamen Fähigkeiten beim Aufbau, Betrieb und Abbau eines Feldtanklagers. Das Ziel ist es, ein Feldtanklager mit einer Kapazität von 1800 m³ schicht- und durchhaltefähig mit gemischten Kräften betreiben zu können und diese Fähigkeit nach einer erfolgreichen Zertifizierung für etwaige Nato-/EU-Einsätze bereitzustellen. Auf Grundlage der Projektfortschritte haben die Co-Präsidenten im November 2020 die „Initial Operational Capability“ (IOC) des binationalen Feldtanklagers festgestellt. Nach erfolgter weiterer Vertiefung in verschiedenen Übungsformaten konnte im September 2022 schließlich die volle Einsatzfähigkeit (Full Operational Capability; FOC) für den binationalen Feldtanklagerzug Putlos nachgewiesen und durch die Co-Präsidenten erklärt werden. Bis heute konnte eine bi-nationale Interoperabilität auf Teileinheitsebene etabliert, gefestigt und erfolgreich aufrechterhalten werden. Zuletzt wurde diese in der multinationalen Großübung AIR DEFENDER 23 in Wunstorf unter Beweis gestellt.
Deutsch-ungarische Kooperation im Bereich mittlere Transportkompanie – SAFETY TRANSPORT
Das zweite Projekt innerhalb der Partnerschaft ist der Aufbau einer deutsch-ungarischen mittleren Transportkompanie mit Fähigkeiten in den Bereichen Wechselladesystem MULTI, Container-, Flachbett- sowie Schwerlasttransport mit einer Transportkapazität von 600 Tonnen über eine Distanz von 300 Kilometern pro Tag. Seit 2014 werden die Transportkräfte des LogBtl 472 und des ungarischen Logistikregiments 64 gemeinsam (u. a. in der Übungsserie SAFETY TRANSPORT) ausgebildet und beübt. Im Mai dieses Jahres erreichte die binationale mittlere Transportkompanie die volle Einsatzfähigkeit und damit einen weiteren wesentlichen Meilenstein im Gesamtprojekt der SPiL.
Evaluierung – Volle Einsatzfähigkeit in den logistischen Fähigkeiten Feldtanklager und Transport überprüft und nachgewiesen
Die geforderte Leistungsfähigkeit der Einheiten wurde jeweils im Rahmen einer gemeinsam angelegten Zertifizierungsübung durch ein binational zusammengestelltes Evaluierungsteam überprüft. Grundlage für die Evaluierung war eine gemeinsam abgestimmte „Project Management and Evaluation Guideline“ einschließlich eines projektbezogenen Kriterienkataloges, welche sich an den einschlägigen Nato-Vorgaben orientierte. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Nachweis der Befähigung zur logistischen Leistungserbringung gemäß den Vorgaben des Nato-Fähigkeitskataloges. Nach dem Erreichen der vollen Einsatzfähigkeit ist es die Absicht beider Nationen, diese gemeinsamen Fähigkeiten im Rahmen multinationaler Großübungen zu etablieren, um sie schließlich mittel- bis langfristig in eine Bündnismission oder in eine einsatzgleiche Verpflichtung einzubinden.
Zusammenfassung und Ausblick
Insgesamt ist die Erwartungshaltung unserer Bündnispartner gegenüber Deutschland in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Verlässlichkeit sowie partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die gemeinsame Vereinbarung von Zielen sowie deren glaubhafte Erfüllung sind dabei von besonderer Bedeutung. Multinationale Zusammenarbeit ist – wie bereits erwähnt – eine auf Dauer angelegte Aufgabe. Es kommt daher darauf an, begonnene Projekte verlässlich, geduldig und nachhaltig zu begleiten, durchgängig mit personellen und materiellen Ressourcen zu hinterlegen und gemeinsam mit den beteiligten Nationen schrittweise zum Erfolg zu führen. Das Hauptziel des Projektes war und ist es, Soldaten aus verschiedenen Nationen mit unterschiedlichen Sprachen, aber mit einem gleichen Verständnis und den selben Zielen zu einer gemeinsamen Einheit zu formen, die im internationalen Umfeld bestehen und performen kann. Dies wurde bisher vollumfänglich erreicht.
Natürlich soll die deutsch-ungarische SPiL und die gemeinsame Zusammenarbeit mit den ungarischen Logistikkräften nicht in ihrer jetzigen Form beschränkt bleiben und auf Deutschland und Ungarn limitiert sein. Gemeinsam erklärte Absicht ist u. a. die Gewinnung weiterer Nationen für diese Partnerschaft, die Erweiterung der gemeinsamen Fähigkeiten und die Einbindung dieser Fähigkeiten in andere multinationale Projekte, wie z. B. in das Framework Nations Concept – Cluster Logistics – als Teil der Unterstützungskräfte.
Als weitere Nation ist Kroatien bereits seit einigen Jahren in einer Beobachterrolle an den gemeinsamen Gesprächen und Übungen beteiligt und beabsichtigt, mittelfristig aktives Mitglied zu werden. Auch Tschechien hat erst Anfang dieses Jahres sein Interesse an unserer Kooperation bekundet und unmittelbar mit Beobachtern an der SAFETY TRANSPORT-Übung 2023 teilgenommen. Beide Nationen könnten bereits ab 2024 beginnend ihre Kräfte in die SPiL-Organisation integrieren. Die Deutsch-Ungarische Strukturierte Partnerschaft in Logistik ist ein Beispiel für gelebte Multinationalität zum Anfassen, welche gemeinsame Erfolge vorzuweisen hat sowie greif- und nutzbare Ergebnisse mit Mehrwert liefert.
Autorenteam Kommando Streitkräftebasis