Innovationen schneller in die Hand des Soldaten bringen: Diesen Auftrag hat der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) als erste militärische Digital Innovation Unit (DIU) in Deutschland im Jahr 2017 übernommen. Als DIU ist der CIHBw in der Lage, Partner zusammenzubringen, die sonst kaum eine Chance auf gegenseitigen Austausch hätten: Bundeswehr und Startup-Szene. Beide können viel voneinander lernen, auch kulturell.
Die Gründung des CIHBw erfolgte zunächst als Projekt mit dreijähriger Laufzeit vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg). Nach einer erfolgreichen ersten Pilotphase wurde der Hub Anfang letzten Jahres verstetigt und ist seither als eine Abteilung in der BWI GmbH, dem IT-Systemhaus der Bundeswehr, verankert. Damit war und ist der CIHBw die erste DIU im staatlichen Sektor in Deutschland überhaupt und hat sich zwischenzeitlich als fester Bestandteil des ‚Innovations-Ökosystems‘ des BMVg etabliert (vgl. Dritter Bericht zur Digitalen Transformation des Geschäftsbereichs des BMVg, Februar 2021). Er agiert an der Schnittstelle zwischen Startup-Ökosystem und Bundeswehr und soll die digitale Transformation der Streitkräfte mit vorantreiben. Seine Mission „Empowering Innovation in Defence“ richtet sich am Bedarf der Soldatinnen und Soldaten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Geschäftsbereich BMVg aus.
Soldat im Mittelpunkt
Ausgangspunkt der Innovationsvorhaben des CIHBw bildet stets ein konkreter Bedarf beim Nutzer innerhalb der Bundeswehr oder im Geschäftsbereich BMVg. Ziel ist, deren Arbeit mit innovativen Ideen und Lösungen vorzugsweise aus der Startup-Welt zu unterstützen und zu vereinfachen.
Schützenhilfe zur Auftragserfüllung leisten verschiedene Maßnahmen. Hierzu zählen:
- Der CIHBw identifiziert sogenannte „dual use“-Produkte, d.h. Produkte mit Einsatzmöglichkeiten nicht nur im zivilen Bereich, und validiert deren Mehrwert direkt gemeinsam mit Nutzern in der Bundeswehr. Findet der erwartete Mehrwert eindeutige Bestätigung, folgt eine Empfehlung zur Einführung auf breiterer Basis.
- Der CIHBw unterhält ein Intrapreneurship-Programm, das Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befähigt wie Gründer zu agieren und eigene Innovationsideen zur Auftragserfüllung voranzubringen. Neben neuen Ideen „für die Truppe durch die Truppe“ wird dadurch auch der generelle Kulturwandel hin zu mehr Innovationsbereitschaft und unternehmerischem Denken gefördert.
- Der CIHBw schafft eine Infrastruktur für Networking, Knowhow-Transfer und Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und den relevanten Akteuren aus Startup-Ökosystem, Verwaltung und Technik. Auf diese Weise unterstützt der CIHBw auch die Wahrnehmung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit als kompetente Partnerin für Innovation und Digitalisierung.Intrapreneurship in der Marine: Innovationsvorhaben zur Digitalisierung der Tender-Führungssysteme
“Immer häufiger finden die Intrapreneure uns”, so Jan Krahn, Innovationmanager im CIHBw. “Wir haben gelernt, dass es in der Bundeswehr viel mehr innovative Köpfe gibt, als wir zu hoffen gewagt hatten. Sie warten nur darauf, mit einem starken Partner ihre Ideen voranzutreiben.”
Ein Intrapreneur, der sich durch seine Eigeninitiative die Unterstützung des CIHBw für ein Innovationsvorhaben hartnäckig erarbeitet hat, ist Korvettenkapitän Volker Voß aus dem Marineunterstützungskommando in Wilhelmshaven. Nach dem Erstkontakt noch im letzten Quartal 2020 nahm er zunächst an einem durch den CIHBw organisiertem Pitch-Training teil. Hier lernte er neue Methoden kennen, wie man seine Zuhörerschaft von seiner Idee begeistert. Dadurch gut vorbereitet konnte er noch im Dezember mit seinem Innovationsvorschlag das Team des CIHBw überzeugen. Im Januar fiel dann die Entscheidung ein Innovationsvorhaben zu starten, schon im Februar wurden die ersten Hürden genommen und der Startschuss durch das erfolgreiche Passieren der ersten Stage Gates des CIHBw Innovation Funnel erfolgte. Seit Ende Februar wird an der Idee gearbeitet, die ersten Planungssprints sind abgeschlossen.
In seinem Vorhaben geht es um die Digitalisierung der Führungssysteme auf einem Tender der Klasse 404. Konkret wird der Einsatz des MESE basierten „Standard-Führungs- und Waffeneinsatzsystem NM“ und die Erweiterung des Systems mit Augmented Reality untersucht. Unter Augmented Reality, kurz AR, versteht man die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Die Einbindung entsprechender AR-Brillen soll der Darstellung der Lage auf der Brücke dienen und damit die Führungsfähigkeit des Tenders erhöhen. Zusätzlich zum Lagebild im Terminal sollen der Besatzung damit dann – mit „Blick ins Gelände“ – frei konfigurierbare Informationen im Head Up Displays angezeigt werden. Durch diese Erweiterung der Realität ist zu erwarten, dass besonders in kritischen Situationen mit erhöhtem Stress, eingeschränkter Sicht oder hoher Komplexität die Situal Awareness erheblich erhöht und damit die Führungsfähigkeit weiter verbessert wird.
Die Herausforderung besteht zunächst vor allem in der Verbindung der verschiedenen Sensoren und den jeweiligen Führungssystemen, die aktuell im Einsatz sind. Die derzeitige IT ist in Teilen von unterschiedlichen Herstellern und oftmals nicht miteinander kompatibel. Die Software funktioniert nur auf einer jeweils spezifischen Hardware und auch der Austausch von Daten ist eine große Hürde.
In einem ersten Schritt im Rahmen des CIHBw Innovationsvorhabens soll deshalb das vom Intrapreneur entwickelte Protokoll/Datenmodell zum Austausch sicherheitskritischer Echtzeitdaten (SEDAP) implementiert werden. Ziel ist es, verschiedene Systeme und Sensoren durch den Einsatz von standardisierten Programmier- und Datenschnittstellen sehr einfach in ein Standard-Führungssystem zu integrieren.
Ist die Datenintegration abgeschlossen folgt im zweiten Schritt die Implementierung der auf die Tender Besatzung angepassten Lagebilddarstellung. Dazu wird auf das modulare, ergonomische Dialog und Anzeigesystem (MEDAS) zurückgegriffen. Das MEDAS Framework stellt als Baukastensystem erprobte Applikationen für die Lagebilddarstellung zur Verfügung. In agilen Iterationen wird das System an die Bedürfnisse der Besatzung angepasst.
Im dritten Schritt werden dann über die vorhandenen Schnittstellen AR Fähigkeiten in das System integriert. MEDAS und SEDAP zusammen bilden das Softwareframework MESE (militärisch, erweiterbare Softwareentwicklungsumgebung). Das Softwareframework MESE diente schon in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Projekten als Basis für die Bereitstellung von äußerst fortschrittlichen Lagedarstellungssystemen.
Nach erfolgreicher Systemkonfiguration und anschließender Einrüstung auf einem ausgewählten Tender erfolgt die Experimentierphase. In dieser nutzerzentrierten Testphase werden alle Erfahrungen direkt und iterativ in die weitere Systemverbesserung miteinbezogen.
Innovationsvorhaben VR (Virtual Reality) Firefighter
Ein weiteres Beispiel für Innovationsvorhaben für die Marine ist der VR Firefighter. Auf seegehenden Einheiten wird die Rolle „Feuer im Schiff“ nahezu täglich ausgerufen, um die Besatzung gegen diese omnipräsente Gefahr gewappnet zu halten. Bei dieser Übung geht es meist allerdings nur darum, dass die richtigen Soldaten, mit der richtigen Ausrüstung, am richtigen Ort die Löschstrecke möglichst schnell aufgebaut haben, um theoretisch mit der Brandbekämpfung starten zu können.
Die eigentliche Brandbekämpfung – also das taktische Vorgehen im Team und die Löschung des Brandes – wird hingegen eher selten praktisch geübt. Schließlich erfordert eine solche Simulation eine längere Vor- und Nachbereitung, um beispielsweise echten Rauch zu generieren oder sogar ein echtes Feuerlöschmittel einzusetzen. Im Anschluss solcher Übungen müssen dann entsprechende Verschmutzungen aufwändig wieder entfernt werden.
Mit dem VR Firefighter verfolgt der CIHBw das Ziel, der Marine eine Möglichkeit zu geben, auch diese elementaren Ausbildungsinhalte einfach, schnell und so realitätsnah wie möglich üben zu können, ohne das Schiff anzünden und unter Wasser setzen zu müssen. Dazu arbeitet die Innovationseinheit mit Startups zusammen, die sich darauf spezialisiert haben, die dafür notwendigen Ausbildungsschritte in einer Virtual Reality (VR) Anwendung zu simulieren. Die auszubildenden Soldaten und Soldatinnen müssen nur noch die VR-Brille aufsetzen und finden sich im virtuellen Raum plötzlich auf ihrem Schiff wieder, wo sie „echten“ Rauch und „echtes“ Feuer mit „echtem“ Löschmittel bekämpfen können. Von zusätzlichem Vorteil ist, dass Ausbilder und weitere Zuschauer die Möglichkeit haben, an einem Bildschirm die Übung aus der Ich-Perspektive der übenden Soldaten und Soldatinnen live zu beobachten und zu kommentieren. Weiterhin besteht die Möglichkeit das Ganze aufzuzeichnen und im Anschluss zu besprechen. Per Knopfdruck können die Soldaten verschiedenste Szenarien durchspielen, um beispielsweise erst einen Fett-Brand in der Kombüse, dann einen Schwelbrand im Maschinenraum oder eine Rauchentwicklung in einem Unterkunftsraum zu bekämpfen. Ein solches System ist kosteneffizient und lässt sich sowohl an Bord als auch an Land jederzeit zu Übungszwecken einsetzen.
Hierzu arbeitet der CIHBw mit dem Einsatzausbildungszentrum für Schadensabwehr der Marine zusammen, damit die erfahrenen Spezialisten diese innovative Technik selbst testen und bewerten können. Denn die Innovationsmanager des CIHBw bringen grundsätzlich stets nur die neuste Technik mit den jeweils kompetenten Nutzern in der Truppe zusammen, damit diese selbst fachmännisch beurteilen können, ob die innovativen Lösungen wirklich einen Mehrwert stiften. Allgemein ist die Einführung neuer Technologien in der Marine maßgeblich davon abhängig, dass es Soldaten und Soldatinnen gibt, die neugierig und gewillt sind, solche Lösungen auszuprobieren und aktiv mitzuarbeiten. Glücklicherweise sind Marinesoldatinnen und -soldaten von Natur aus mutig, weil Seefahren gleich den Horizont erweitern bedeutet. Nicht zuletzt deshalb ist davon auszugehen, dass auch diesem Projekt noch viele weitere folgen werden.
Autoren: Jan-Philipp Krahn und Dr. Hans-Christian Stockfisch