Wie das US-Tarnkappenflugzeug europäische Beschaffungsentscheidungen beeinflusst
Die Zielsetzung der Europäer befand sich in den 1990er Jahren auf dem Tisch: Man wollte eine eigene militärische Luftfahrtsparte schaffen, die in der Lage ist, militärische Luftfahrzeugsysteme unterschiedlicher Couleur zu entwickeln und in Serie zu bauen. Eine souveräne Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie war und ist hierfür Grundvoraussetzung. Sie gilt als Motor einer beschaffungspolitischen Strategie, der sich insbesondere die Regierungen Deutschlands und Frankreichs verschrieben haben. Zahlreiche militärische Vorhaben der vergangenen Jahrzehnte ebneten den Weg – einige davon, wie der Kampfhubschrauber Tiger, der Transporthubschrauber NH90, das Transportflugzeug A400M und das Kampfflugzeug Eurofighter Typhoon, bestimmen bis heute das Bild einer funktionierenden und auf die Bedarfslage hin abgestimmten europäischen Beschaffungspolitik. Das alles führte in Teilbereichen zu einer gewissen Souveränität der Europäer – auch was die Nutzung von Hochtechnologie betrifft. Nichtsdestotrotz macht die Beschaffung des aus US-amerikanischer Entwicklung und Produktion stammenden Tarnkappenflugzeugs F-35 durch zahlreiche europäische NATO-Staaten eine Neubewertung der Situation erforderlich.
Prolog
Die europäische Willensbildung, eigene militärische Luftfahrzeuge zu entwickeln, wird stark von den nationalen Ausrichtungen der unterschiedlichen Flugzeugbauer und der Komponentenhersteller geprägt. Jeder Akteur wollte einen bestimmten Arbeitsanteil in dem jeweiligen Rüstungsvorhaben erhalten und damit Arbeitsplätze über einen Zeitraum von 30 Jahren oder mehr für sich sichern. Hinzu kommt, dass wechselnde Regierungen, deren Habitus und deren Haltung zu multinationalen Rüstungsprogrammen regelmäßig die Frage aufwerfen, ob denn die beschaffungspolitischen Gegebenheiten in einigen europäischen Staaten die eigentliche Ursache dafür sind, dass sich allzu starke Abhängigkeiten von außereuropäischen Lieferanten auftun. Beispiel Deutschland. Der Deutsche Bundestag billigte am 14. Dezember 2022 den Kauf von 35 Tarnkappenflugzeugen des US‐amerikanischen Typs F‐35A, um damit Deutschlands Fähigkeiten im Bereich der nuklearen Teilhabe weiterhin zu gewährleisten. Deutschland war, nachdem der Jäger 90 auf die beschaffungspolitische Schiene aufgegleist und später zum Eurofighter umbenannt wurde, für seine europäischen Partner oft genug ein unsicherer Kandidat, der im Zweifelsfall aus dem Programm aussteigen würde. Es kostete viel beschaffungspolitische Überredungskunst, Deutschland „bei der Stange zu halten“, denn einer Beschaffung einer F‐16 Fighting Falcon oder einer F/A‐18 Hornet wollte damals weder der spätere Nutzer, die Deutsche Luftwaffe, noch die deutsche Politik zustimmen.
Ein Blick zurück zeigt die Tragweite europäischer Beschaffungsentscheidungen: Nach dem Einstieg in das deutsch‐britisch‐italienische MRCA Tornado‐Programm wollte man „europäisch beschaffen“ und ein modernes Kampfflugzeug bauen. Später traten Italien, Großbritannien und Deutschland erneut zusammen und entwickelten gemeinsam mit Spanien den Eurofighter für den europäischen und internationalen Markt. Dieser enthielt nach Ansicht des Herstellers, der Eurofighter GmbH, einen Bedarf von „mindestens“ 1.000 Kampfflugzeugen. Der Eurofighter galt technologisch als ein großer Wurf, der mit einem beträchtlichen Weiterentwicklungspotenzial ausgestattet war, um in den kommenden drei Jahrzehnten seiner Rolle als Luftüberlegenheitsjäger der NATO gerecht zu werden.
Doch Frankreich entwickelte und beschaffte seinen eigenen Luftüberlegenheitsjäger (Rafale), der zwar leichter ist als der Eurofighter, aber gleichfalls über sehr gute Flugleistungen verfügt. Dieser wird bis heute als Konkurrent in vielen internationalen Beschaffungsplänen identifiziert. Damit nicht genug. Schweden entwickelte mit der JAS‐39 Gripen ein leichtes und sehr agiles Kampfflugzeug, das insbesondere osteuropäischen Nutzern wie der Tschechischen Republik ein optimales Preis‐Leistungsverhältnis offeriert. Gleichfalls tun sich hier neue Möglichkeiten für das Tarnkappenflugzeug F‐35 auf. Das Flugzeug birgt jedoch ein beträchtliches Entwicklungsrisiko in sich. So warnt das deutsche Verteidigungsministerium vor „zeitlichen Verzögerungen und Mehrkosten“, die ihren Ursprung in äußerst aufwändigen Vorbereitungsarbeiten (z. B. technische Probleme bei der Zulassung für den Flugbetrieb in Deutschland) haben. Außerdem macht der Betrieb des neuen Flugzeugs den Umbau vorhandener Flugplatzinfrastruktur erforderlich. Letztlich werden dadurch neue Abhängigkeiten von den Vereinigten Staaten geschaffen.
Deutschland wird F-35-Nutzer
Deutschland wird das aus US-amerikanischer Entwicklung und Fertigung stammende Kampflugzeug F-35 beschaffen, um damit einen Teil des Bestandes an Tornado-Kampfflugzeugen abzulösen. Außerdem wird die Beschaffung einer modernen Variante des Eurofighter erwogen, um damit die für die elektronische Kampfführung seit vielen Jahren eingesetzten Tornado ECR abzulösen. Schon ab 2025 muss der Nachfolger bereitstehen, um deren hoch spezialisierte Aufträge übernehmen zu können. Christine Lambrecht (SPD) erklärte dreieinhalb Monate nach ihrer Ernennung zur Bundesverteidigungsministerin (am 8. Dezember 2021), dass man sich nach Abwägung aller auf dem Tisch liegender Optionen entschlossen habe, das aus US-amerikanischer Entwicklung und Produktion stammende Kampfflugzeug F-35A zu beschaffen. Damit soll Deutschlands Beteiligung an der Nuklearen Teilhabe sichergestellt werden. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte Deutschland immer wieder gedrängt, die Nukleare Teilhabe an US-amerikanischen Waffensystemen in Europa nicht aufzugeben. Indes galten die Verpflichtungen, die sich aus der Nuklearen Teilhabe für Deutschland ergeben, lange Zeit als ein ungeliebtes Thema der Großen Koalition. Es musste befürchtet werden, dass die GroKo die Bedeutung unterschätzte, wie sich Deutschland künftig im Konzert mit den Bündnispartnern aufstellen und das Mitspracherecht im nuklearen Planungsgremium sichern würde. Die NATO-Vereinbarungen zur Nuklearen Teilhabe wurden in den 1960er Jahren getroffen, um eine nukleare Lastenteilung zu erreichen, kollektive Entschlossenheit zu signalisieren, eine wirksame politische Kontrolle zu gewährleisten und die weitere Verbreitung von Kernwaffen in Europa zu unterbinden. Die Vereinbarungen bieten den Rahmen für die Aufnahme von US-Nuklearwaffen, den Besitz und den Betrieb von Flugzeugen, die diese Waffen einsetzen können, und/oder das Mitwirken an Vorbereitungen für deren Einsatz.
Europa beschafft amerikanisch – Abhängigkeiten wachsen
Andere wichtige europäische Bündnispartner, die gleichfalls an der Nuklearen Teilhabe partizipieren – Italien, die Niederlande und Belgien – hatten sich längst für die Option F-35 entschieden und profitieren so neben der gemeinsamen Pilotenausbildung von einer ebenso gemeinsam geschulterten logistischen Versorgungskette. Mit der Entscheidung „gegen F-35“ hätte sich Deutschland diesen markanten Vorteilen einer multinationalen (europäischen) Zusammenarbeit entzogen. Von verpassten Chancen kann mit der jetzt erfolgten Auswahl nicht gesprochen werden. Denn mit einer Auswahlentscheidung für die F-35 kann Deutschland teilhaben an der Nutzung eines logistischen Konzeptes, das gemeinsam von den europäischen Nutzerstaaten entworfen und auf die Anforderungen für eine Nutzungsphase über das Jahr 2065 hinaus zugeschnitten ist. Es sieht vor, dass bei einer gemeinsamen Nutzung desselben Flugzeugtyps erhebliche Kosteneinsparungen vor allem bei der Ausbildung der Fluglehrer sowie der gemeinsamen Ausbildung und beim Training der Piloten und der Bodenorganisation erzielt werden. Zudem sind Kosteneinsparpotenziale bei Unterstützungsleistungen zu erwarten, die schon beim trinationalen MRCA Tornado-Programm und aktuell bei der gemeinsamen Nutzung des Eurofighter in „erheblichem Umfang zu einer Harmonisierung des Flugbetriebs führten“, so eine Einschätzung der Europäischen Verteidigungsagentur EDA. Denn zum Eurofighter-Programm der vier daran beteiligten europäischen NATO-Staaten (Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien) führt die Agentur aus, dass damit die Anforderungen der Kunden hinsichtlich Interoperabilität, Pilotenaus- und Weiterbildung sowie Kommunalität bei Wartung, Instandsetzung, Ersatzteilversorgung und Betrieb über das ursprünglich angenommene Maß hinaus erfüllt werden. Nur dadurch erreicht das Waffensystem eine entsprechend hohe Einsatzverfügbarkeit.
Grundsätzlich gilt für die europäischen Nutzerstaaten der F-35, dass die vorhandene Infrastruktur der bislang genutzten Flugzeugmuster (F-16 in Belgien, Dänemark, Norwegen und in den Niederlanden) auch für das neue Waffensystem nutzbar ist. Es sind jedoch z. T. umfangreiche waffensystemspezifische Anpassungs- und Neubaumaßnahmen erforderlich, die bei der Einführung eines neuen Waffensystems als unabdingbar gelten. Hierbei zahlt sich allerdings aus, dass kostenträchtige Beschaffungen wie etwa Flugsimulatoren gemeinsam erfolgen können. Die Situation in Italien ist eine andere, da zwei Varianten der F-35 ein trägergestütztes Kampfflugzeug (AV-8B Plus) der Marine sowie den Bestand an Tornados und einen Teil der AMX-Kampfflugzeuge bei den Luftstreitkräften ablösen werden. Insofern führt dies zu Modifizierungen beim logistischen Konzept. Von Bedeutung ist, dass die zertifizierte Einsatzspanne von gegenwärtig 8.000 auf 12.000 Einsatzstunden erhöht werden kann. Damit wird die Nutzungsdauer des Waffensystems über die nächsten 40 bis 45 Jahre sichergestellt.