Robotikexperten aus aller Welt treffen sich bei EnRicH 2023

07/11/2022

Seit dem Sommer laufen bereits die Planungen: Zum vierten Mal organisiert das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE im Juni 2023 gemeinsam mit dem österreichischen Amt für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) den European Robotics Hackathon (EnRicH). Für rund eine Woche kommen in der Nähe von Wien Teams aus der ganzen Welt zusammen, um bei verschiedenen Szenarios den aktuellen Entwicklungsstand ihrer robotischen Systeme zu überprüfen – und für den Ernstfall zu üben. Denn der Veranstaltungsort ist so außergewöhnlich wie weltweit einzigartig: Schauplatz ist das nie in Betrieb gegangene Atomkraftwerk (AKW) Zwentendorf.

Realitätsnähe ist für Dr. Frank E. Schneider, stellvertretender Leiter der Abteilung »Kognitive Mobile Systeme« am Fraunhofer FKIE, ein Erfolgsfaktor für die Veranstaltung, die er gemeinsam mit seinem Team und in Zusammenarbeit mit dem ARWT seit 2017 alle zwei Jahre organisiert. »Ein realistisches Einsatzszenario in einer realistischen Umgebung unter realen Bedingungen: Das wollen wir den teilnehmenden Teams bei EnRicH bieten«, sagt er.

Hinzu komme die Arbeit an einer brandaktuellen Aufgabenstellung, denn das Risiko eines Störfalls könne in keinem Atomkraftwerk vollständig ausgeschlossen werden – was die jüngsten Beispiele im AKW Saporischschja in der Ukraine oder im japanischen Fukushima zeigten. Allein in den kerntechnischen Anlagen Europas ereigneten sich seit dem Jahr 2000 mehr als 40 Störfälle. Viele der im Katastrophenfall erforderlichen Einsätze könne aufgrund der hohen Strahlenlast jedoch kein Mensch, sondern nur der Roboter übernehmen. »Bei EnRicH steht nicht der Wettkampfgedanke im Vordergrund«, stellt Schneider klar. »Er ist vielmehr eine Art Leistungsvergleich, der hilft, Fähigkeiten und Defizite der Robotik in solch einem Störfallszenario aufzuzeigen.«

Seit 2017 ist das nie in Betrieb gegangene Atomkraftwerk Zwentendorf in der Nähe von Wien Veranstaltungsort der EnRicH.

Herausfordernde Aufgaben für alle EnRicH-Teams

Die Szenarios und Aufgaben, welche die EnRicH-Teams lösen müssen, sind anspruchsvoll. Allein der Veranstaltungsort ist ein Garant für Realitätsnähe und absolutes Alleinstellungsmerkmal: Kurz nach seiner Fertigstellung 1978 wurde die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf durch eine Volksbefragung gestoppt, ans Netz ging es nie. Zugleich ist der Typ des österreichischen Atommeilers fast baugleich mit dem Kernkraftwerk in Fukushima, in dem sich 2011 eine der größten Reaktorkatastrophen ereignete. Nahezu vollständige Dunkelheit im Gebäude, enge Kurven, schmale Räume, steile Treppen und dazu meterdicke Beton- und Stahlwände, die keine Funkverbindung zur Außenwelt zulassen, gehören zur schwierigen Ausgangslage für alle Teams. Zudem wird bei EnRicH mit echten radioaktiven Proben geübt, die das österreichische Bundesheer zur Verfügung stellt.

Die Teilnehmer messen sich in drei Disziplinen: Eine Aufgabe ist es, die Infrastruktur zu erkunden, möglichst präzise zu kartieren und eine Messwertkarte zu erstellen. In der Disziplin »Manipulation« geht es darum, Strahlungsquellen in einem eigens errichteten Rohrsystem zu identifizieren und Ventile zu schließen. Bei »Search & Rescue« schließlich steht das Auffinden und die Rettung möglicher Verletzter im Mittelpunkt. Neu seit 2021 ist die Einbindung der UAVs, für die die Organisatoren eigene Szenarien entwerfen. Bewertet werden alle gezeigten Leistungen von einer externen Jury, in der mit Dr. Michael Gustmann, Kenneth Pink, Ryan Lamm und Professor Daniel Watzenig ausgewiesene Experten für Robotik und kerntechnische Fragestellungen vertreten sind.

Kaum Licht, enge Gänge und meterdicke Betonmauern sind nur einige der Herausforderungen, die die Teams bei den verschiedenen Szenarios erwarten.

ELROB als zweite Großveranstaltung der FKIE-Wissenschaftler

Planung und Organisation beschäftigen die FKIE-Wissenschaftler über Monate – auch wenn sich zwischenzeitlich eine gewisse Routine eingestellt hat. Das liegt nicht zuletzt an der zweiten Großveranstaltung, die das Team im jährlichen Wechsel mit der EnRicH ausrichtet – in diesem Fall mit Fokus auf die Militärrobotik: Beim European Land Robot Trial (ELROB) gehen ebenfalls Teilnehmer aus aller Welt an den Start, um in militärischen Einsatzszenarios wie Konvoifahren, Aufklärung oder Räumung von explosiven Kampfmitteln Reifegrad und Fähigkeiten ihrer robotischen Systeme zu testen.

»Ursprünglich hervorgegangen ist ELROB aus einem NATO-Workshop im Jahr 2004«, berichtet Schneider. Dabei seien schon damals erhebliche Entwicklungsdefizite bei Militärrobotern identifiziert worden. »Wir haben vorgeschlagen, einen Rahmen zu schaffen, der internationale Experten der Anwenderseite, der Industrie und des F&T-Bereichs in regelmäßigem Turnus zusammenbringt.« Alle Aufgaben werden in enger Abstimmung mit den militärischen Anwendern entwickelt und orientieren sich am aktuellen und zunehmend komplexeren Bedarf der Streitkräfte. Das Format ist mittlerweile fest etabliert: Seit seiner Premiere im Jahr 2006 hat sich ELROB zum größten Leistungsvergleich militärischer Robotik in Europa entwickelt. »ELROB und EnRicH verschaffen somit als einzige Veranstaltungen weltweit momentan ein objektives und reales Bild vom aktuellen Stand der Robotik«, ist Schneider überzeugt.

Die Realitätsnähe macht EnRicH so einzigartig: Auch während des Durchlaufs tauschen sich die Teilnehmer untereinander aus und feilen an den Lösungen.

Neues Szenario wird derzeit entwickelt

Für den nächsten EnRicH-Durchlauf im Sommer 2023 erarbeiten die FKIE-Wissenschaftler derzeit die neuen Aufgaben. »Im Herbst waren wir für einige Tage in Österreich, um uns die Örtlichkeiten noch einmal anzuschauen und zu überlegen, wie wir ein neues Szenario platzieren können«, sagt FKIE-Mitarbeiter Dennis Wildermuth, der seit vielen Jahren Mitglied im Organisationsteam ist. Neben der Aufgabenkonzeption und der hochaufwendigen Ausstattung der relevanten Kraftwerkbereiche mit Kamera- und Funksystemen gehöre auch ein nicht zu unterschätzender organisatorischer Aufwand wie die Aktualisierung der Internetpräsenz und der Kontakt mit den Teilnehmern dazu. Und letztlich müssten natürlich auch alle Ergebnisse der EnRicH wissenschaftlich ausgewertet werden. Doch für Wildermuth ist es jede Mühe wert: »Alle Teams, die hier an den Start gehen, sind super motiviert, tauschen sich untereinander aus und vergleichen ihre Lösungen«, sagt er. »Die Atmosphäre vor Ort ist einfach ganz besonders.«

Von der hohen Bedeutung des Leistungsvergleichs ist auch Organisator Dr. Frank E. Schneider überzeugt: »Der Einsatz von Robotern bei Großschadenslagen im industriellen Bereich ist ein wichtiges und absolut aktuelles Thema. Die technischen Herausforderungen in solchen Einsatzszenarios sind, insbesondere bei Vorfällen in kerntechnischen Anlagen, deutlich höher als etwa in der industriellen Fertigung oder beim autonomen Fahren auf regulären Straßen«, sagt er. »Und leider werden sie bislang von der Robotikforschung nicht im nötigen Umfang adressiert. Wir haben hier noch einige große Baustellen abzuarbeiten.«

Pressemitteilung

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