Synthetische Biologie – Sicherheitspolitische Herausforderungen und Chancen

02/05/2023

Mitte der 1980er Jahre begann die Forschung damit, den Genen in unseren Zellen nachzuspüren und erste Versuche der Entschlüsselung ganzer Genome begannen. 1995 wurde mit dem Genom des Bakteriums Haemophilus influenza, einem Erreger der Mittelohrentzündung, zum ersten Mal sämtliche Gene eines pathogenen Organismus sequenziert. Unzählige Genome folgten. 2000 war es endlich soweit, auch das Genom des Menschen war entschlüsselt. Man kannte nun die Reihenfolge vieler Gene in unzähligen Organismen und konnte diese vervielfältigen, vorausgesetzt die Bestandteile der DNA waren verfügbar. Sollte es möglich sein, dies auch mit chemisch synthetisierten DNA-Bausteinen durchzuführen? 2003 konnte ein erstes Virus synthetisch erschafft werden, 2005 ein bakterielles Genom, das aber in der Zelle nicht funktionierte. Die erste funktionsfähige chemisch erzeugte DNA wurde 2010 in einer Hefezelle zusammengesetzt. Nun sollte das Zeitalter beginnen, in dem künstliche Zellen, Organe und ganze Organismen hergestellt werden können – das neue Fachgebiet der Synthetischen Biologie war geboren.

Synthetische Biologie zielt darauf ab, im Labor biologische Systeme zu entwerfen, nachzubauen oder zu verändern. (Foto: Akademie der Naturwissenschaften Schweiz)

Was ist Synthetische Biologie?

Synthetische Biologie ist ein Konglomerat aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen wie Molekularbiologie, organischer Chemie, aber auch Ingenieurwissenschaften und Informationstechnik. Mit den Verfahren der Synthetischen Biologie lassen sich heute bereits einfachste biologische Systeme künstlich erzeugen. Die langfristigen Ziele liegen immer noch vor uns, die Erschaffung von komplexen biologischen Systemen bis hin zu künstlichen Organismen mit neuen durch den Menschen definierten Eigenschaften.

Im Jahr 2011 stellte ein Wissenschaftler auf einer Konferenz in Malta die Ergebnisse seiner Forschung vor. Er hatte mit eben jenen Methoden der synthetischen Biologie an Grippeviren geforscht und sie so verändert, dass nun eine leichtere Ansteckung zwischen zwei Individuen möglich war. Die Idee hinter der Forschung war, zu verstehen, wie die Übertragung/Ansteckung funktioniert, um geeignete Gegenmaßnahmen (z. B. Impfungen) zu entwickeln. Bis zu diesem Zeitpunkt fand die Forschung auf diesem Gebiet ohne viel Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit statt. Doch das änderte sich nun – vom menschengemachten Killervirus wurde in den Zeitungen geschrieben. Eine Diskussion entbrannte, ob solche Forschung erlaubt werden soll, und ob die Ergebnisse veröffentlicht werden dürfen.

Neben einer Vielzahl nutzbringender Anwendungen bringen diese Technologien absehbar auch Gefahren bzw. Missbrauchsgefahren mit sich. Dabei spielen sowohl Aspekte der unbeabsichtigten, aber auch der beabsichtigten Störkomponenten eine wesentliche Rolle. Die Folgen davon können neben gesundheitlichen, Umwelt- und politischen Auswirkungen auch ein hohes wirtschaftliches Schadenspotenzial in sich tragen. Ebenso ist ein sicherheitspolitisches Risiko nicht auszuschließen.

Spannungsfeld Biosafety und Biosecurity

Unter Biosafety und Biosecurity wird der Schutz vor unerwünschten ökologischen und gesundheitlichen Folgen verstanden, der im Fall von Biosafety durch unbeabsichtigte Freisetzung und im Fall von Biosecurity durch bewussten Missbrauch hervorgerufen wird.

Biosafety: Die allgemeine momentane Einschätzung zu Biosafety in Bezug zur Synthetischen Biologie geht davon aus, dass die bestehenden Regularien zur Biosicherheit noch greifen (Ebene Deutschland und Europäische Union). Dabei muss aber immer hervorgehoben werden, dass sich die Einschätzung auf die gegenwärtige Forschung bezieht, einschließlich der näheren Zukunft. Bei fortschreitender Entwicklung bestimmter Methoden und Techniken der Synthetischen Biologie könnten die aktuellen Regularien und Prinzipien nicht mehr ausreichen. Ein Vorschlag für die Zukunft könnte sein, die bisher verwendete komparativ-qualitative Risikobewertung durch eine quantitative Risikoabschätzung unter zu Hilfenahme von digitaler Modellierung zu ersetzen.

Ein zusätzliches Problem bei der Risikobewertung in Deutschland ist die zunehmend ablehnende Haltung gegenüber der Gentechnik und einigen Bereichen der Biotechnologien in weiten Teilen der Gesellschaft, der mit Aufklärung und Bildung begegnet werden könnte. In den USA ist die Risikobewertung anders organisiert und bietet mehr Schlupflöcher als in der Europäische Union. Die momentan stattfindende Überarbeitung findet nach anderen Grundsätzen als in der Europäischen Union statt. Da die USA ein Vorbild für viele Länder, wie z. B. in Südamerika, ist, erschwert diese Tatsache auch die Aufstellung von globalen Regularien bezüglich der Synthetischen Biologie.

Existierende Kontrollnormen und Verhaltenskodizes

Die genannten Gefahren wurden schon früh thematisiert, sowohl von Seiten der Wissenschaft, als auch von Seiten der Kontrollgremien in Europa und in den USA. Bisher wurden keine neuen international rechtlich bindenden Vereinbarungen getroffen, aber auf internationaler Ebene Verhaltenslinien vereinbart (Codes of Conducts). Daneben wurden in einzelnen Ländern, u. a. auch in Deutschland, Verhaltenskodizes für die Durchführung potenziell als besorgniserregend eingestufte Forschungsvorhaben festgelegt. Weiterhin gibt es bereits international gültige Vereinbarungen, die teilweise auch auf Produkte oder Technologien der Synthetischen Biologie anwendbar sind: 

  • Die Biowaffenkonvention (BTWC) verbietet es staatlichen Akteuren, mikrobielle und andere biologische Agenzien oder Toxine – unabhängig von ihrem Ursprung oder ihrer Herstellungsmethode – in Mengen, die sich nicht zu Zwecken der Vorbeugung, des Schutzes oder anderen friedlichen Zwecken rechtfertigen lassen, zu entwickeln, zu produzieren, zu lagern oder anderwärtig zu erwerben oder sie zu halten. Diese Definition ist auch auf mit Synthetischer Biologie hergestellte Organismen und Toxine anwendbar. Allerdings verfügt die BTWC über keine formalen Mechanismen zur Überwachung oder Durchsetzung ihrer Einhaltung.
  • Die Chemiewaffenkonvention (CWC) verbietet staatlichen Akteuren die Anwendung, die Entwicklung, den Erwerb, die Produktion oder Lagerung von chemischen Waffen. Diese umfassen toxische Chemikalien oder deren Vorläufer mit tödlicher oder beeinträchtigender Wirkung bei Mensch und/oder Tieren. Dies gilt unabhängig von ihrem Ursprung oder der Art ihrer Produktion. Damit schließt auch die CWC durch Synthetische Biologie erzeugte Toxine mit ein. Anders als die BTWC verfügt die CWC mit der Organisation for Prohibition of Chemical Weapons über einen Kontrollmechanismus.
  • Im Jahr 1985 schlossen sich mehrere Länder, die alle sowohl die BTWC als auch die CWC unterzeichnet haben, zur Australia Group zusammen. Der Zusammenschluss ist informeller Natur und es ergeben sich aus ihm keine rechtlichen Verpflichtungen. Ziel ist es, Exportkontrollen von Geräten, Materialien, Technologien sowie Software zur Entwicklung und Herstellung von biologischen und chemischen Waffen zu vereinheitlichen und damit deren Produktion und Verbreitung zu bekämpfen. 2008 wurde ein spezielles Beratungsgremium zu Fragen der Synthetischen Biologie gegründet, um auch auf Entwicklungen in diesem Bereich reagieren zu können.

Global gesehen scheint man ganz gut aufgestellt zu sein, um mit den Gefahren der Synthetischen Biologie umgehen zu können. Und doch weist der Schutz Lücken auf. So sind nicht alle Staaten der BTWC und der CWC beigetreten und nur 41 Länder und die Europäische Union sind Mitglieder der Australia Group. Nicht alle Unternehmen, die DNA Synthese anbieten, halten sich an die beschriebenen Verhaltenskodizes. Auch im Bereich der Wissenschaft kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich alle Forscher an die Verhaltensregeln halten oder nicht an verbotenen Experimenten arbeiten. Schon gar nicht, wenn diese Forschung in aus unserer Sicht sicherheitspolitisch heiklen Ländern stattfindet. Und auch der Bio-Hacker-Terrorist in seiner Garage kann so nicht erfasst werden.

Da man keinen einhundertprozentigen Einfluss auf die bereits beschriebenen zwei Ebenen der Gefahren der Biosecurity/Dual Use Problematik erreichen kann, muss darüber nachgedacht werden, wie man dem Restrisiko begegnen kann. Um dieses Risiko anschaulicher zu beschreiben, wurden für diese Studie mit Hilfe der Szenariokreuzmethode mehrere Szenarien erarbeitet, von denen zwei im nächsten Kapitel ausführlicher beschrieben sind. Grundlage für die Entwicklung der Schlüsselfaktoren und der Szenarien waren neben den üblichen theoretischen Überlegungen, die Erkenntnisse von Trendanalysen, die Ergebnisse eines Synthegrationsworkshop und einer WildCard-Übung im Rahmen eines weiteren Workshops.

Die zwei hier ausgeführten Szenarien stehen dabei beispielhaft für zwei verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit den Bedrohungen. Auf der einen Seite steht ein offener Umgang mit dem Thema Synthetische Biologie, das eine freie Forschung erlaubt, wenn auch unter hohen Selbstverpflichtungen der beteiligten Wissenschaftler. Dem gegenüber steht auf der anderen Seite der restriktive Umgang mit den verschiedenen Forschungsfeldern der Synthetischen Biologie, das vom einfachen Veröffentlichungsverbot über begrenzten Zugang zu den Dual Use-Technologien bis zu generellen Forschungsverboten reicht.

Synthetische Biologie kann zu einer Bedrohung werden, in den falschen Händen und mit bösen Absichten (Biosecurity), aber auch durch unachtsame, unbedachte und unwissende Verwendung (Biosafety). In Zusammenhang mit Biosafety hilft Aufklärung, Vorsorge und Achtsamkeit im Umgang, wie sie in vielen Vorschriften und Regelungen zu finden sind. Akteure sind hier Universitäten, Forschungseinrichtungen, Industrie aber auch die DIYBio-Community und die Bevölkerung.

Vielschichtiger ist der Bereich Biosecurity. Der Missbrauch von Produkten der Synthetischen Biologie als Biowaffe von staatlicher Seite kann trotz der vielen bestehenden Kontrollmechanismen nicht ausgeschlossen werden. Aber durch die Wachsamkeit der internationalen Gemeinschaft ist zu hoffen, dass rechtzeitig erkannt werden kann, wenn irgendwo solche Programme durchgeführt werden. Dann kann man die entsprechenden politischen Gegenmaßnahmen ergreifen.

Vom heutigen Standpunkt gesehen, geht die größte Bedrohung vom Terrorismus als Nutzer der Synthetischen Biologie aus. Die Bandbreite des Terrorismus heute hat sich vergrößert. Moderner Terrorismus dient nicht mehr allein dem Zweck, den politischen oder gesellschaftlichen Gegner von seiner Sache zu überzeugen, sondern er wird auch nicht vor der Vernichtung seines Gegners haltmachen, sollte ihm dieses Ziel möglich erscheinen. Synthetische Biologie kann dieses durchaus erreichbar erscheinen lassen. Die Botschaft, die solche Taten aussenden, soll nicht mehr den Gegner oder unbeteiligte Dritte beeinflussen, sondern die eigene Gruppierung. Der Terrorismus ist tendenziell tödlicher geworden. Vor diesem Hintergrund wird die Verwendung von biologischen Massenvernichtungswaffen ein durchaus realistisches Szenario.

Warum sind biologische Waffen so attraktiv für Terroristen? Auf der einen Seite geben die Bilder von leidenden und sterbenden Menschen den Terroristen die mediale Aufmerksamkeit, die sie für die Inszenierung ihrer katastrophalen Wirkung benötigen. Auf der anderen Seite ermöglichen Vorsorgemaßnahmen, wie Immunisierungen oder maßgeschneiderte Erreger aus der Synthetischen Biologie, die Hervorrufung der Illusion der Unverwundbarkeit eigener Kämpfer. Möglich wird die Nutzung der recht komplexen Materie der Herstellung biologischer Waffen durch die Fähigkeiten der heutigen Terroristen, ihre Ressourcen zu bündeln und moderne Formen des Fähigkeits- und Wissensmanagements zu nutzen. Daneben spielen auch die verfahrenstechnischen Neuerungen und der damit einhergehende leichtere Zugang und der Preisverfall biotechnischer Dienstleistungen eine wesentliche Rolle.

Auch wenn davon ausgegangen wird, dass ein Einsatz mit Waffen auf (synthetischer) biologischer Basis irgendwann erfolgen wird, dass eigentlich nur noch der Zeitpunkt unbestimmt ist, so ist doch jetzt noch genügend Zeit, sich darauf vorzubereiten und die Resilienz dagegen zu erhöhen.

Welche Gegenmaßnahmen gibt es?

Die Verantwortlichen in Deutschland haben das erkannt und dazu verschiedene Konzepte und Strategien erarbeitet. Dabei wird der Schutz gegen biologische Bedrohungen meist im Verbund mit chemischen, radiologischen und nuklearen Bedrohungen zusammen betrachtet (CBRN) Schutz. Die Bundeswehr hat mit dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien – ABC-Schutz (WIS) in Munster eine eigene Forschungsstelle zum Thema. Aktuell werden im neuen Weißbuch der Bundeswehr unter den Herausforderungen für die Sicherheitspolitik unter anderen biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen und Pandemien angesprochen. Im zivilen Bereich beschreibt u. a. das neue Konzept für zivile Verteidigung aus dem Bundesinnenministerium die Zusammenhänge und Prinzipien und macht Vorgaben für die künftige Ausgestaltung einzelner Fachaufgaben wie dem CBRN-Schutz. Weitere Institutionen, die sich dieser Bedrohungslage widmen, sind das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie das Robert Koch-Institut (RKI).

Auch konkret mit den Gefahren der Synthetischen Biologie wurde sich bereits auseinandergesetzt, u. a. in einem Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages. Beispiele aus dem Ausland sind die derzeit in Österreich erstellte Studie zu CBRN-Bedrohungen im Rahmen einer gesamtstaatlichen Risikoanalyse, Berichte der Nato und der US-Streitkräfte zu Sicherheitsaspekten von Biotechnology und Synthetischer Biologie.

Allen Studien, Konzepten und Strategien gemein ist der Ansatz, dass die Begegnung der Gefahren aus biologischen Bedrohungen eine gesamtgesellschaftliche, gesamtstaatliche Aufgabe ist, die nur in einem vernetzen Ansatz zu bewältigen ist. Die Bundeswehr steht mit ihrem Know-how in der ABC-Abwehr als ein gut aufgestellter Partner dieses vernetzen Ansatzes da. Damit ist nicht nur das technische Equipment des ABC-Schutzes in allen Bereichen der Bundeswehr gemeint, sondern auch das Wissen des bereits erwähnten WIS. Gab es früher mit der Teilkonzeption ABC-Abwehr ein eigenes Grundlagendokument zum Thema, so wird in Zukunft aufgrund der Erkenntnis der Bedeutung als Querschnittsthema ABC Abwehr/Schutz in allen konzeptionellen Dokumenten inhärenter Bestandteil. Da selbst jeder einzelne Soldat immer wieder im Umgang mit ABC-Schutzausrüstung und dem Verhalten im Ernstfall trainiert wird, liegt hier ein hohes Potenzial an gut geschultem Personal vor, das im Ernst- oder Krisenfall als „First Responder“ genutzt werden könnte.

Resümee

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass es ein prinzipielles Bewusstsein (Awareness) zum Thema (synthetische) biologische Bedrohungen gibt. In den Konzepten stehen

die entscheidenden Ansätze, um diesen Gefahren richtig zu begegnen. Sie müssen nur mit Leben gefüllt werden und bedürfen einer ständigen Aktualisierung der potenziellen Gefahrenstoffe, um den immer wieder neuen Ergebnissen in der Forschung gerecht zu werden. Die Bundeswehr leistet hier bereits heute wichtige Beiträge und könnte diese zukünftig gezielt weiter ausbauen.

Autor: Dr. Christian Herrmann ist Reserveoffizier in der Heeresaufklärungstruppe und seit 2018 Dozent im Fachbereich Bundespolizei an der Hochschule Bund in Lübeck.

Stefan Nitschke

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