Für die Wirkung auf kurze Distanz wurde bei der Deutschen Luftwaffe in den 2000er Jahren der Luft/Luft-Flugkörper IRIS-T eingeführt – der mit einer Schubvektorsteuerung ausgestattete Kurzstrecken-Lenkflugkörper kommt am Waffensystem Eurofighter zur Bekämpfung gegnerischer Kampfflugzeuge zum Einsatz.
Foto: Bundeswehr/Stefan Petersen
Für die Projektion von Luftmacht nutzt die Deutsche Luftwaffe das Waffensystem Eurofighter und – bis zur Auslieferung aller 35 in den USA bestellten Tarnkappenflugzeuge F-35A bis zum Jahr 2030 – das seit Anfang der 1980er Jahre in unterschiedlichen Einsatzrollen bewährte Mehrzweckkampfflugzeug PA-200 Tornado. Die Luftwaffe bevorratet hierfür ein über Jahre gewachsenes Portfolio an Präzisionsmunitionen hoher Modernität für die Luft/Luft- und Luft/Boden-Rolle. Zudem strengt die Luftwaffe Überlegungen an, auch unbemannte Plattformen (Drohnen) stärker für zukünftig erwartbare bewaffnete Luftoperationen einzusetzen.
Präzisionsgelenkte Abwurfwaffen – Luft/Luft- und Luft/Boden-Lenkflugkörper – erfahren infolge des Russland-Ukraine-Kriegs eine Renaissance. Die Luftstreitkräfte vieler europäischer Nato-Staaten befinden sich in einer Phase der Fähigkeits- und Kapazitätsanpassung. Das zeigt sich zum einen bei allmählich steigenden Beständen bei vielen Abwurfwaffen und zum anderen bei der Frage, in welchem Umfang ältere, vielfach mit Obsoleszenzen behaftete Waffensysteme zeitnah durch neuere ersetzt werden können. So wird bei der Deutschen Luftwaffe die Ablösung des seit Ende 2005 bevorrateten Abstandsflugkörpers KEPD 350 Taurus durch ein Nachfolgesystem in Betracht gezogen.
Hierbei handelt es sich um ein Waffensystem hoher Reichweite und Genauigkeit, das im Wege von regelmäßig erfolgten Anpass- und Wartungsmaßnahmen zwar zu jeder Zeit den Einsatzerfordernissen entsprochen hatte, jedoch seit seiner Indienststellung bislang nicht in den harten Einsatz gelangte. Von den einst 600 beschafften Lenkflugkörpern wurde nur eine sehr geringe Anzahl zumeist für Testkampagnen und Freiflugversuche verbraucht. Eine Bereitstellung des Waffensystems an engste Nato-Partner wie Frankreich (im Zuge des Nato-Einsatzes in Libyen) erfolgte aus politischen Gründen nicht. Seine Ablösung durch einen Nachfolger mit verbesserten Leistungseigenschaften (gewichtsreduziertes Design, zielartangepasste Wirkladungen, größere Reichweite, größere Missionsvielfalt) wird innerhalb der kommenden zehn Jahre erwartet.
Oberst i.G. Gordon Schnitger beim Kommando Luftwaffe, A1 II, erklärte beim „Cyber- & Drohnen-Symposium“ in Köln (am 25. November), dass die Luftwaffe über sämtliche Kapazitäten verfügt, um schnell und präzise zu reagieren. „Wir müssen die Fähigkeit beibehalten, einem potenziellen Gegner weh zu tun, nämlich wenn es um die Waffenwirkung tief im Hinterland des Gegners geht.“
Höchste Präzision im Luft/Luft-Einsatz
Fähigkeits- und Kapazitätsanpassungen bestimmen auch das Erscheinungsbild von präzisionsgelenkten Waffensystemen für den Luft/Luft-Einsatz. Mit der Integration des europäisch zwischen 1997-2014 entwickelten Lenkflugkörpers Meteor am Kampfflugzeug Eurofighter gelingt eine markante Fähigkeitsanpassung an das zukünftig erwartbare Bedrohungsspektrum insbesondere hervorgerufen durch Kampfflugzeuge der neuesten Generation. Im Hinblick auf den bisher genutzten Lenkflugkörper AIM-120B (AMRAAM) bedeutet der Lenkflugköper Meteor eine signifikante Kampfwertsteigerung des Eurofighter im Kontext BVR (Beyond Visual Range), also der Bekämpfung von Luftzielen weit außerhalb der Sichtweite des Piloten. Die größere Kampfreichweite (bis über 200 km) des Lenkflugkörpers Meteor macht AMRAAM für den Eurofighter dabei aber nicht obsolet, sondern ergänzt das Waffenportfolio sinnvoll.
Für die Wirkung auf kurze Distanz wurde bei der Luftwaffe in den 2000er Jahren der Luft/Luft-Flugkörper IRIS-T (Infra Red Imaging System/Thrust Vectored Controlled) eingeführt. Als Nachfolger für die in den USA hergestellte AIM-9Li wurde dieser Lenkflugkörper multinational, unter deutscher Führung, entwickelt. Der von Diehl Defence produzierte Lenkflugkörper ist mit einem modernen Multimode-Suchkopf ausgestattet, mit dem das Ziel als Silhouette im infraroten Bereich erkannt werden kann. Die Schubvektorsteuerung macht den Lenkflugkörper höchst agil und zu einer effektiven Waffe auf kurze Distanz. Mit IRIS-T SLM entwickelte Diehl Defence daraus eine von der Bundeswehr beauftragte Variante für die bodengebundene Luftverteidigung im Kurzbereich.
Wirkung ohne Sekundäreffekte
Der witterungsunabhängigen Bekämpfung von stationären und bewegten Zielen kommt künftig eine weiter wachsende Bedeutung zu. Hierfür wird die Luftwaffe den taktischen Luft/Boden-Lenkflugkörper Brimstone 3 einsetzen. Mit der im Juli 2024 erfolgten Unterzeichnung eines Vertrags über die Lieferung des Waffensystems an den Nutzer und die Durchführung der Eurofighter-Integration soll, so der Hersteller MBDA, ein entscheidender Beitrag zur Harmonisierung der Bewaffnungen in Europa sowie der Munitionsbevorratung der Bundeswehr geleistet werden. Brimstone 3 ist als lasergelenkter Lenkflugkörper gegen gepanzerte Ziele konzipiert, kann aber auch gegen ungepanzerte Fahrzeuge eingesetzt werden. Die hohe Präzision und der vergleichsweise kleine Gefechtskopf ermöglichen den Einsatz in einer urbanen Umgebung, wo die Vermeidung von Kollateralschäden eine besondere Herausforderung darstellt. Mit Brimstone 3 kann die Weiternutzung an unbemannten Luftfahrzeugsystemen (Beispiel Eurodrone/European MALE RPAS) verwirklicht werden.
Mit der Fähigkeitserweiterung des Eurofighter können weitere Präzisionsmunitionen eingesetzt werden. Neben der Abwurfwaffe GBU-48 betrifft das die Einführung der auch von anderen europäischen Nato-Staaten beschafften Präzisionsbewaffnung GBU-54. Die Abwurfwaffe besteht aus dem Laser-JDAM (Joint Direct Attack Munition) Lenksystem (Boeing), dem Standardbombenkörper Mk-82 und dem FBM21-GER Bombenzünder der Luftwaffe. Als allwetterfähige Präzisionswaffe für kurze Distanzen ist die GBU-54 in der Lage, stationäre und bewegte Bodenziele unter nahezu allen Wetter- und Sichtbedingungen präzise zu bekämpfen.
Die technologischen Fortschritte besonders in den kritischen Bereichen Aerodynamik, Lasertechnologie und Flugkörperelektronik haben „chirurgische“ Luftangriffe mit hoher Präzision erst möglich gemacht. Das Konfliktgeschehen der zurückliegenden 15 bis 20 Jahre zeigt, dass Reichweite und Präzision bei den eingesetzten Waffensystemen gestiegen sind, sowohl um die Wirkung gegen den Gegner zu erhöhen als auch um Verluste bei verbündeten und befreundeten Streitkräften sowie Nichtkombattanten zu vermeiden. Allerdings erfordert die präzise Bekämpfung von Zielen am Boden ein Umdenken bei der Verwendung von herkömmlichen Waffensystemen. Besonders wenn es darum geht, im urbanen Umfeld nicht gewollte Sekundäreffekte (Kollateralschäden) auf ein Minimum zu begrenzen, gilt es, Gefechtsköpfe mit skalierbarer, ziel(art)angepasster Wirkung für eine optimale Wirkentfaltung ausschließlich auf das Ziel zu nutzen.
Schlussfolgerungen
Insbesondere die Weiterentwicklung von Präzisionslenkflugkörpern für den Luft/Luft- und Luft/Boden-Einsatz hat das Fähigkeitsspektrum insbesondere der europäischen Nato-Staaten erweitert. Die rasant fortschreitende technologische Weiterentwicklung von kritischen Bereichen (z. B. Suchköpfe, Wirkladungen, Antriebe) hat wesentlichen Anteil daran, dass Luftoperationen zukünftig – mehr denn je – von einem hohen Maß an Präzision, Reichweite und Wirkung profitieren. Dazu gehört auch, dass solche Waffensysteme schon heute in einer vernetzten Umgebung eingesetzt werden können. Neue Technologien – wie künstliche Intelligenz – führen dazu, dass die Waffensysteme bei der Zielansprache – anders als bei herkömmlichen Abwurfwaffen – effektiver eingesetzt werden können. Das führt letztlich dazu, dass ungewollte Sekundäreffekte weitgehend vermieden werden können. Schließlich wird ein moderner Luft/Luft- oder Luft/Boden-Lenkflugkörper künftig als „High-Tech“-Waffensystem vielseitiger und von verschiedenen Trägerplattformen (auch unbemannte) in unterschiedlichen Domänen (z. B. im maritimen Umfeld) eingesetzt werden können.