Joachim Sucker

OCCAR-EA

Stefan Nitschke

The Team that Delivers!

Interview mit Ministerialdirigent Joachim Sucker, Direktor der europäischen Programm-Managementorganisation OCCAR-EA

Am 1. Februar 2023 wurde Ministerialdirigent Joachim Sucker zum Direktor der europäischen Programm-Managementorganisation OCCAR-EA berufen.

Die Entwicklung der OCCAR seit der Erlangung ihres rechtlichen Status in 2001 steht ganz im Zeichen der Förderung und Stärkung europäischer Rüstungskooperation. Dies wird deutlich am Aufwuchs der von der Programm-Managementorganisation geführten Programme von anfänglich fünf auf mittlerweile 24, des Personals von anfänglich 170 auf mehr als 380 und des Programmhaushalts bis auf heute 105 Mrd. Euro. Die Stärke der OCCAR für die Unterstützung europäischer Verteidigungsbereitschaft liegt in ihrem Alleinstellungsmerkmal – der Unabhängigkeit von Institutionen wie der Nato und der EU. Das bedeutet, dass die Nationen mit der OCCAR eine bewährte und erwiesenermaßen erfolgreiche, alternative Kooperationsplattform neben der Nato und EU bekommen. Die OCCAR leistet damit durch die Förderung effizienter und effektiver multinationaler Rüstungskooperation einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der europäischen Verteidigungsbereitschaft.

Interview: Stefan Nitschke
Bilder: OCCAR-EA

Wappen OCCAR-EA

wt: Das Jahr 2024 zeigte eine Dynamik bei vielen gemeinsamen Rüstungsvorhaben der europäischen Nato-Partner. In einigen kritischen Bereichen (z. B. unbemannte Plattformen, Kommunikationssysteme) führt dies zu einer Intensivierung von Aktivitäten bei der beteiligten wehrtechnische Industriebasis, was letztlich zu einer Stärkung der europäischen Verteidigungsbereitschaft führt. Wie sehen Sie die OCCAR in diesen politischen Krisenzeiten in einigen Mitgliedsstaaten Ihrer Organisation aufgestellt?

Joachim Sucker: Von unseren Mitgliedsstaaten bekommen wir immer wieder positive Rückmeldungen – entweder explizit im Rahmen unserer vertrauensvollen Zusammenarbeit oder implizit durch zunehmende Anfragen für die Integration weiterer Programme. Darüber hinaus weckt die OCCAR zunehmend auch außerhalb unserer Mitgliedsstaaten Interesse. Wir erhalten regelmäßig Kooperationsanfragen aus anderen europäischen Ländern bis hin zu Interessensbekundungen für eine vollwertige Mitgliedschaft. Außerhalb Europas sind bislang Australien, Brasilien, Indien und Japan als Beobachter in Programmen vertreten, Australien in einem Programm sogar als Programmteilnehmer. Hier zeigt sich eines der Alleinstellungsmerkmale unserer Organisation – die Offenheit für interessierte Kooperationspartner auch über die Grenzen von Nato und EU hinweg.

wt: Die OCCAR ist eine Programm-Managementorganisation, die Rüstungsprogramme durch ihren gesamten Lebenszyklus begleitet. Wie haben sich die von der OCCAR gemanagten Projekte – unter dem Eindruck von knappen Zeitvorgaben – weiterentwickelt? Gibt es Beispiele, wo der Faktor Zeit eine große Rolle spielt und Einfluss nimmt auf den Projekterfolg?

Joachim Sucker: Natürlich ist der Faktor Zeit ein zentraler Aspekt unseres Projektmanagements. Das ist allen Beteiligten – ob staatlich, industriell oder innerhalb der OCCAR – auch sehr bewusst. Insoweit sind aktiver Informationsaustausch und eine enge Zusammenarbeit fundamental für die erfolgreiche Durchführung von Projekten. All unsere Teams bestehen aus gut ausgebildeten und sehr erfahrenen Rüstungsexperten aus allen Programmteilnehmerstaaten, die sich höchsten Standards verschrieben haben und Probleme schnellstmöglich und zur Zufriedenheit aller Stakeholder zu lösen suchen.

So konnten wir zum Beispiel vergangenes Jahr einen zusätzlichen Bedarf Deutschlands an 25.0000 Nachtsichtbrillen von dessen Artikulation im November über den Vertragsschluss im Dezember und den Beginn der Auslieferung noch vor Jahresschluss decken. Aber auch bei komplexeren Programmen wie dem Geschützten Transportfahrzeug Boxer und der FREMM-Fregatte konnten wir im vergangenen Jahr sehr schnell und flexibel auf kurzfristige Anforderungen reagieren und entsprechende Verträge schließen. Diese Agilität ist ein weiteres Alleistellungsmerkmal unserer Organisation, auf das ich besonders stolz bin.

Selbstverständlich ist es bei der Komplexität einiger Programme illusorisch davon auszugehen, dass alles immer nach Plan läuft. Es kommt auch immer mal wieder zu Abstimmungsschwierigkeiten, Lieferkettenstörungen oder zu sonstigen unvorhergesehenen Entwicklungen, die eine Verzögerung des Projektfortschritts zur Folge haben. Dann ist es aber gerade der Auftrag unserer Organisation, zufriedenstellende Lösungen zu suchen und zu implementieren. Wir haben uns das Ziel gesetzt, Ergebnisse für unsere Kunden zeitgerecht und effektiv zu liefern und im größten Teil der Fälle schaffen wir das auch – eben The Team that delivers!

wt: Wenn der Faktor Zeit bei der Projektrealisierung allesentscheidend ist, wie sieht es mit den Finanzen aus? Die Mittelzuweisungen durch die Regierungen in einzelnen OCCAR-Mitgliedsstaaten – u. a. für Forschung & Entwicklung – haben sich tatsächlich nicht verkleinert. Aber reicht das Verteidigungsbudget aus, um die wehrtechnische Industriebasis in den Mitgliedsstaaten bei der Realisierung der Programme zu entlasten?

Joachim Sucker: Ich würde hier zunächst gerne darauf verweisen, dass nicht der Faktor Zeit alleine das entscheidende Element ist. Vielmehr ist es das Ziel erfolgreichen Projektmanagements, einen Ausgleich zwischen zeitlichen und finanziellen, technologischen, aber auch politischen, administrativen oder gesetzlichen Hürden, die gleichermaßen Aufmerksamkeit benötigen, zu finden. Jedes Projekt ist dabei aufgrund der spezifischen Anforderungen und häufig variierenden Programmstaaten einzigartig.

Selbstverständlich steht die Verteidigungsindustrie vor einer Nachfrage, die in dieser Form vor wenigen Jahren noch nicht absehbar gewesen wäre. Vor dem Hintergrund gestiegener Anforderungen an Systeme und wachsender Kosten würden mir sicherlich die meisten Entscheidungsträger aus Industrie und Verteidigungspolitik zustimmen, dass eine umfangreichere Ausstattung mit finanziellen Mitteln und vor allem auch eine langfristige Perspektive wünschenswert wären. Allerdings ist es gerade die Herausforderung, mit dem, was zur Verfügung steht, maximalen Nutzen zu schaffen. Hier kommen Organisationen wie die OCCAR ins Spiel. Durch die gezielte Bündelung von Bedarfen, den gemeinsamen Ressourceneinsatz und unseren ganzheitlichen Through-Life-Management-Ansatz können wir gegenüber rein nationalen Beschaffungsvorhaben erhebliche Skaleneffekte erzielen, die sich sowohl bei der Leistungsfähigkeit als auch bei den Kosten auswirken und so unseren Mitglieds- und Partnerstaaten best value for money liefern.

Am 15. November 2024 besuchte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die europäische Programm-Managementorganisation OCCAR-EA in Bonn und besprach mit Ministerialdirektor Joachim Sucker die Aufgaben und Zukunftsaussichten der Organisation.
Am 15. November 2024 besuchte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die europäische Programm-Managementorganisation OCCAR-EA in Bonn und besprach mit Ministerialdirektor Joachim Sucker die Aufgaben und Zukunftsaussichten der Organisation.

wt: Zu der DNA der OCCAR gehört ein weiterer Aufwuchs der Mitgliedsstaaten. Gleichwohl muss ein Staat nicht unbedingt Mitglied der OCCAR sein, um an einem Programm zu partizipieren. Auf welche Staaten trifft das derzeit zu und in welcher Form sind diese eingebunden in laufende Programme?

Joachim Sucker: Aktuell besteht die OCCAR aus sechs Mitgliedsstaaten: Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. In naher Zukunft werden die Niederlande, die momentan in vier unserer Programme als Teilnehmerstaat fungieren, ebenfalls vollwertiges Mitglied werden. Daneben arbeitet die OCCAR in unterschiedlichen Programmen mit insgesamt etwa 13 weiteren Staaten zusammen. Manche beteiligen sich dabei als voll stimmberechtigte Partner an Programmen, wie beispielsweise die Türkei beim [Transportflugzeug] A400M und Australien beim Light Weight Torpedo. Andere sind als Beobachter involviert, so zum Beispiel Brasilien beim französisch-italienischen Logistics Support Ship [LSS] oder Indien und Japan bei der Eurodrohne. Australien ist Beobachter sowohl im Boxer-Programm als auch beim [Kampfhubschrauber] Tiger. Es gibt also ganz unterschiedliche Modelle, die ganz auf die Bedürfnisse der jeweiligen Interessenten zugeschnitten sind.

wt: Neben den sechs Mitgliedsstaaten der OCCAR gibt es eine Anzahl von so genannten Programmstaaten. Was ist der Unterschied zwischen Mitgliedsstaaten und Programmstaaten?

Joachim Sucker: Die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten bzw. ihre Gesandten bilden den Aufsichtsrat der OCCAR, das Board of Supervisors. Sie sind in allen Prozessen, die direkt mit der Struktur, Organisation und Ausrichtung der OCCAR zusammenhängen, voll stimmberechtigt. Im Gegensatz dazu haben Programmstaaten nur innerhalb von Programmen die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, sind dort aber absolut gleichberechtigt mit Mitgliedsstaaten.

wt: Die große Bedeutung der OCCAR zeigte sich bis vor kurzem an einem Portfolio aus 22 Programmen. Jetzt kommen – mit GA-10 und E-NACSOS – zwei weitere Programme hinzu. Um was geht es hierbei?

Joachim Sucker: Das deutsch-französische Programm GA-10 [eigentlich Ground Alerter 10 Standard 3] zielt darauf ab, ein so genanntes Mid-Life Upgrade [MLU] für das bestehende GA-10 System, einem Erkennungs- und Alarmierungssystem zum Schutz vor Raketen-, Artillerie und Mörserbeschuss, zu entwickeln und einzuführen. Hinzu kommt eine zumindest anfängliche In-Service Support-Phase. Durch das MLU soll die Leistungsfähigkeit des Systems erhöht und die Fähigkeit zur Bedrohungserkennung gesteigert werden.

E-NACSOS [European Naval Collaborative Surveillance Operational Standard] ist ein Kooperationsprojekt zwischen acht europäischen Staaten. Mithilfe eines Konsortiums von 25 Unternehmen aus zwölf Ländern soll ein Europäischer Standard für die Identifizierung, Ortung und Verfolgung von Bedrohungen aus der Luft in der Domäne See geschaffen werden. Als gemeinsames Frühwarnsystem soll es komplementär in die Aufklärungsfähigkeiten der seegehenden Einheiten teilnehmender Staaten eingebunden werden, um deren Sicherheit zu erhöhen. Wie auch einige andere Programme in unserem Portfolio wird E-NACSOS von der Europäischen Union mitfinanziert und zeigt so das Potenzial europäischer Kooperationsvorhaben auf.

wt: Die große Zahl der von der OCCAR gemanagten Programme ist das Ergebnis der gesteigerten Kooperation mit der Europäischen Kommission durch EDIDP- oder EDF-Vorhaben. Ein EDIDP-Projekt – ESSOR – steht im Kontext von weiterhin bestehenden Defiziten bei der Ausstattung und Verfügbarkeit von modernen Kommunikationstechnik, insbesondere Software-definierte Funkgeräte. Diese Situation wird dadurch verschärft, weil Bündnispartner unterschiedliche Kommunikationsmittel beschafft haben und auch einsetzen. Das hat Schwierigkeiten bei Kommunalität und Interoperabilität zur Folge. Wie hat sich das Projekt ESSOR unter dem Dach der OCCAR weiterentwickelt?

Joachim Sucker: ESSOR ist durch seine Natur als System, das man „nicht anfassen“ kann, natürlich etwas Besonderes. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, welcher essenzielle Stellenwert Interoperabilität in der Kommunikationsfähigkeit der Bündnispartner zukommt. Das Programm umfasst neben der Definition von Kommunikationsstandards, von denen einer inzwischen auch als Nato-Standardardisierungsabkommen durch das Bündnis adaptiert wurde [STANAG 5651 – NATO High Data Rate Waveform], auch das ESSOR Multi-functional Information Distribution System (EMIDS), das für die Modernisierung des LINK16-Standards verwendet werden soll.

Für Deutschland bedeutet ESSOR, dass in naher Zukunft die streitkräftegemeinsame, verbundfähige Funkgeräte-Ausstattung [SVFuA] mit allen Nato-Wellenlängenstandards kompatibel sein wird. Insoweit ist ESSOR auf dem besten Weg, die festgeschriebenen Ziele zu erreichen.

Emblem OCCAR-EA

wt: Herr Sucker, wenige Tage nach dem Bruch der „Ampel“-Koalition haben Sie den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius an Ihrem Bonner Dienstsitz zu einem Informationsgespräch empfangen. Haben Sie ihm die bedeutender werdende Rolle der OCCAR dargelegt und erklärt, dass damit ein Instrumentarium fortbesteht, dass nicht nur die europäische Verteidigungsbereitschaft stärkt, sondern auch die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der wehrtechnischen Industriebasis in der EU unterstützt?

Joachim Sucker: Der Besuch von Minister Pistorius war für uns hier in Bonn ein echtes Highlight. Insbesondere hat er sich die Zeit genommen, in den Dialog mit unseren deutschen aber auch internationalen Mitarbeitern zu treten und dabei echtes Interesse an deren Anliegen und Einschätzungen gezeigt. Aber natürlich haben Sie völlig recht, dass ich den Besuch auch dazu genutzt habe, ihm die Potenziale der OCCAR zu verdeutlichen. Minister Pistorius hat sich demgegenüber sehr aufgeschlossen gezeigt und war äußerst interessiert an unseren Fähigkeiten und den Möglichkeiten, die sich durch Zusammenarbeit mit der OCCAR auftun.

Er hat dabei auch vor der Presse unterstrichen, dass er die Arbeit der OCCAR sehr schätzt und den Besuch zum Anlass nehmen wird, deutsche Vorhaben auf deren Eignung für eine Integration in die OCCAR zu untersuchen. Darüber hinaus hat er aber auch die Frage nach weiteren Mitgliedsstaaten gestellt und dabei Polen ins Spiel gebracht, das aus seiner Sicht eine wertvolle Ergänzung und ein wichtiger Player in der OCCAR werden könnte. Ich bin überzeugt, dass Herr Pistorius mit Hinblick auf die weltpolitische Lage und die aktuelle Diskussion um die deutsche und europäische Verteidigungsbereitschaft den Wert der OCCAR erkannt hat.

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