Nichts ist heute wichtiger als der Erhalt von nationalen Schlüsseltechnologien. Gerade für den heimischen Marineschiffbau steht viel auf dem Spiel. Denn es geht um einzigartige Kompetenzen beim Entwurf und bei der Fertigung von Marineschiffen, Uboote inklusive. Den Schiffbauern wird ein Höchstmaß an Innovativkraft attestiert. Und das soll auch so bleiben. Doch die Unternehmen in diesem Segment fühlen sich Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt, die dazu führen können, dass es zum Abbau von Fertigungskapazitäten – und somit zu beträchtlichen Technologieverlusten – kommt. In Erinnerung bleibt die überstandene Corona-Pandemie, die für knappe Auftragsbücher bei den deutschen Schiffbauern sorgte. Betroffen davon war auch der Marineschiffbau. Hinzu treten „hausgemachte“ Risiken, die im Zusammenhang stehen mit den herrschenden Beschaffungsprozeduren. Schon seit Jahren in der Kritik stehen die allzu schwerfälligen und zu langsamen Vergabeverfahren beim Bundeswehr-Beschaffungsamt. Die Zeit drängt, da die allgemein veränderte Sicherheitslage (in Europa und anderswo) und der Nachholbedarf bei der Marine zu einer Verdoppelung der Investitionen in neue Plattformen (Fregatten, Korvette, Spezialschiffe, Uboote, unbemannte Systeme) führen wird.
Und daraus folgen neue Zukunftspositionen für den deutschen Marineschiffbau. Denn beim nächsten großen Neubauprojekt, der Fregatte F127, geht es sensu stricto nicht um ein Projektkonstrukt herkömmlicher Art und Weise, sondern um eine nationale Schlüsseltechnologie. Als die beiden Großwerften thyssenkrupp Marine Systems und NVL Group am 3. September eine Zusammenarbeit beim Bau der zukünftigen Fregatten F127 vereinbarten, schienen alle Grundzutaten dafür bereitzustehen. Es geht um fünf, vielleicht sechs Schiffe mit einem Volumen von sieben bis zehn Milliarden Euro. Der Entwurf des neuen Schiffs ist ein rein nationaler; eine europäische Ausschreibung – wie bei der aktuell gebauten F126 – gibt es nicht. Allenfalls wird es Einsatzsystemanteile von europäischen und US-amerikanischen Zulieferern geben. Das war auch bei der F124 (SACHSEN-Klasse) der Fall. Viele der ab dem kommenden Jahr für das Fregattenprojekt F127 auszuwählenden Komponenten und Subsysteme sollen mit Beteiligung der deutschen Industrie gefertigt und/oder in die Plattformen integriert werden.
Im 19. Bericht des BMVg zu Rüstungsangelegenheiten, der am 24. Juli durch das Ministerium veröffentlicht wurde, ist zu lesen, dass die nationale Schlüsseltechnologie Marineschiffbau damit gesichert und die Systemintegrationsfähigkeit gestärkt werden. Eine für die F127 in Betracht zu ziehende transatlantische Kooperation – mit den USA und vielleicht auch Kanada – wird nicht als Hemmnis wahrgenommen. Vielmehr dürfte sie das Entwicklungspotenzial insbesondere der deutschen Marineausrüstungsindustrie weiter beflügeln. Für diese Zukunftsperspektive steht alles bereit: technologisch spezialisierte Bauwerften und Zulieferer, genügend Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten, qualifizierte Belegschaften.
Bleibt noch die Frage nach dem Erhalt der nationalen Schlüsseltechnologie Marineschiffbau. Denn sie ist, wenn wir einmal von den großen nationalen Bauprogrammen (F126, F127, U212CD) absehen, im Umkehrschluss abhängig von einer ordentlichen Exportpolitik der Regierung. Als hätte man nicht genug zu tun mit den Schwierigkeiten im zivilen Schiffbau. Stichwort Meyer Werft. Die Maritime Agenda 2025 aus dem Jahr 2017 (!) liefert die Antwort: „Exporterfolge auf Auslandsmärkten und nationale Referenzprojekte [sind] von zentraler Bedeutung für die Grundauslastung der deutschen Marineschiffbauindustrie und den Erhalt einer leistungsfähigen nationalen wehrtechnischen Industrie in diesem Bereich.“
Eine aktivere Rolle der Bundesregierung wird hier seit langem angemahnt: Der nationalen Marineschiffbau müsse, so die betroffenen Schiffbauunternehmen selbst – vor dem Hintergrund sich verstärkender Wettbewerbsnachteile – als leistungsfähige Sparte erhalten bleiben. Hierzu gehört eine moderne und zeitgemäße Exportpolitik. Andererseits könnte der deutsche Marineschiffbau der europa- und sogar weltweit zunehmenden Konkurrenz nicht standhalten. Substanzverluste wären die Folge. Der Vergleich mit europäischen Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien gibt einen eindeutigen Hinweis darauf, wie sehr der Marineschiffbau in diesen Ländern von Maßnahmen der Exportförderung durch die Politik profitiert. Die insbesondere von den Großwerften in diesen Ländern generierten Erfolge in Asien, Afrika und dem Mittleren Osten sind ein Beleg dafür, wie sehr gestiegene Exporte zu einem Erhalt von wichtigen schiffbaulichen Kernkompetenzen führen. Die hier geleistete Unterstützung durch die Politik führt seit Jahrzehnten zu einer exzellenten Positionierung der Werftunternehmen auf den internationalen Märkten und zu einer beachtlichen Stärkung der Marineausrüster insgesamt. Zukunftspositionen, die es auch in Deutschland zu sichern gilt.
Das führt uns letztlich zu der Anforderung, auch die Deutsche Marine als „Parent Navy“ – als Erstnutzer von neuartigen Plattformen, Systemen und Komponenten aus deutscher Entwicklung und Fertigung – wieder stärker zu beteiligen. Zur Erinnerung: Vor gut 13 Jahren stellte Frank Hagedorn, Vertriebsleiter Deutschland der damaligen Fr. Lürssen Werft, heraus, dass man mit Sorge den Marineschiffbau und die Situation der Deutschen Marine als „Parent Navy“ betrachte, denn davon hänge auch die Zukunftsfähigkeit des Mittelstandes ab, der für den Bestand der Systemhäuser und der über viele Jahrzehnte gewachsenen Kompetenzen unerlässlich sei. Eine Schlussfolgerung jener Jahre war, dass die künftigen Neubauvorhaben der Marine keine Grundauslastung bei der Industrie mehr sichern würden. Schon deshalb hätte es weiteren Exportanstrengungen bedurft.
Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Marineschiffbaus wird nach dem Abflauen der Corona-Pandemie und im dritten Jahr des Russland-Ukraine-Krieges als sehr unterschiedlich beurteilt. Sie steht heute im globalen Wettbewerb mit vielen anderen Akteuren, welche sich durch eine strategische Industriepolitik ihrer Heimatländer gut positioniert haben. Dahinter verbergen sich nicht unbeträchtliche Exportpotenziale wie Polen, das sich inzwischen für einen britischen Fregattenentwurf entschieden hat und möglicherweise Uboote aus Südkorea beschaffen will. Deshalb ist es im deutschen sicherheits- und industriepolitischen Interesse, wenn Spitzentechnologien, über die die Marineindustrie insbesondere auf dem Gebiet der Überwasserschiffe und Uboot-Technologien heute verfügt, in Zukunft erhalten werden. Nur so kann gestaltend und richtungsentscheidend bei der Schaffung einer gestärkten nationalen Industriebasis eingewirkt werden, wie es dem politischen und wirtschaftlichen Gewicht Deutschlands entspricht. Der Erhalt von wehrtechnischen Schlüsseltechnologien ist längst nicht mehr verhandelbar.
Stefan Nitschke
Chefredakteur