WIS unterstützt Zertifizierungsübung „Golden Mask 2022“ für NATO Task Force

29/09/2023

Im Bereich des technischen ABC-Schutzes forscht und prüft das Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien – ABC-Schutz (WIS) in Munster an Ausrüstung zur Bewältigung von Einsätzen mit ABC-Bedrohungen. Einzelne Schwerpunkte sind beispielsweise die ABC-Detektion, Dekontamination und ABC-Schutzausrüstung, wie Schutzmasken und ABC-Schutzbekleidung. Ein wesentlicher Nutzer dieses Materials sind die Truppenteile, welche dem ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr (ABCAbwKdoBw) unterstellt sind. Da es im Bereich der Bundeswehr nur wenige Liegenschaften gibt, auf denen Chemikalien, biologische Erreger und radioaktive/nukleare (CBRN)-Substanzen gehandhabt werden können, bietet es sich an, so Dr.Matthias Berger, dass die ABC-Abwehrtruppe im Rahmen von Ausbildungsvorhaben und Übungen die besonderen Fähigkeiten und Einrichtungen des WIS mit einbezieht. Für das WIS bietet diese Zusammenarbeit die Möglichkeit, die Funktionsweise der Ausrüstung unter realistischen Feldbedingungen beobachten zu können.

Entstrahlung eines Soldaten nach Beendigung der Aufklärungsmission
durch Dekontaminationskräfte der Tschechischen Streitkräfte.
(Fotos: Bundeswehr/WIS)

Für das Jahr 2023 übernimmt das ABCAbwKdoBw die Federführung für die Combined Joint CBRN Defence Task Force (CJ-CBRND-TF) der Nato. Hierbei handelt es sich um einen aus ABC-Abwehrkräften verschiedener Länder zusammengesetzten Verband. Ein Teil dieses Verbandes ist die Laborkompanie „Lab Coy“, deren Fähigkeitsspektrum von der Probennahme bis zur feldfähigen Analytik in mobilen Laboren reicht. Darüber hinaus sind in dem Verband auch Anteile Kampfmittelbeseitigung (CBRN-EOD) vertreten, die sich mit der Entschärfung von Explosivstoffen mit radioaktiver, biologischer oder chemischer Beiladung beschäftigen.

Vor der Rotation des Leitverbandes der NATO Task Force fand die abschließende Übung „Golden Mask 2022“ auf den Truppenübungsplätzen Munster und Bergen unter der Federführung des Leitverbandes (ABC-Abwehrbataillon 7) aus Höxter statt. Die teilnehmenden Nationen Deutschland, Ungarn, Tschechien, Spanien und Frankreich stellten dabei verschiedene Anteile. Die Einbeziehung des WIS in die Zertifizierungsübung war von dem Leitgedanken geprägt, dass in Analogie zum scharfen Schuss nichts den Umgang mit echter Radioaktivität, realen biologischen Erregern oder toxischen Chemikalien ersetzen kann, um die Leistungsfähigkeit der Ausrüstung und Handhabung von ABC-Material zu testen. Im Kontext der multinationalen Zusammensetzung der CJ-CBRND-TF war hierbei der immer wichtiger werdende Aspekt der Interoperabilität von besonderem Interesse. Da das WIS den Vorsitzenden der Joint Chemical Biological Radiological Nuclear Defence Capability Development Group (JCBRND-CDG) und in den meisten der JCBRND-CDG nachgeordneten Arbeitsgruppen die nationalen Sprecher stellt, können die diesbezüglichen Erkenntnisse unmittelbar in die Standardisierungsarbeit der Nato eingebracht werden.

Laborpraktikum zum Erfahrungsaustausch

Um die Teilnehmer der Übung über die institutsspezifischen Eigenheiten zu informieren und sich aus der Perspektive WIS mit der eingesetzten Ausrüstung vertraut zu machen, wurde vor Beginn der „heißen“ Phase der Übung ein Praktikum mit allen teilnehmenden Kräften in den Bereichen A, B und C durchgeführt. So wurden zum Beispiel die tragbaren Detektionsgeräte aller beteiligten Nationen genutzt, um verschiedene Substanzen zu detektieren, zu unterscheiden und über Querempfindlichkeiten zu informieren. Hierbei konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WIS ihre jahrelange Erfahrung mit Schutzanzügen und Detektionsgeräten an die operativen ABC-Abwehrkräfte weitergeben. Auf der anderen Seite konnten die Experten des WIS auch von den jahrelangen Erfahrungen der Endnutzer der verschiedenen Länder profitieren. In diesem Rahmen haben sich die Beteiligten zum Beispiel im Bereich der Biologie über die Ausstattungen zur Probenahme ausgetauscht. Neben dem allgemeinen Informationsaustausch sollte hierdurch sichergestellt werden, dass das im weiteren Verlauf der Übung gewonnene Probenmaterial für die weiterführende Analyse geeignet war. Im Bereich der radioaktiven und nuklearen Stoffe konnten verschiedene Prüfstrahler genutzt werden, um einerseits das Leistungsspektrum der Ausrüstung aufzuzeigen, anderseits die WIS eigenen Messgeräte mit denen der Truppe und den Streitkräften anderen Nationen zu vergleichen.

Mobile Labore

Auf dem Gelände des WIS wurden die verlegbaren Labore der Task Force aufgebaut und direkt neben den entsprechenden Laborgebäuden platziert. Hierbei stellt die Bundeswehr den Anteil A und C. Zudem waren ein ungarisches B-Labor sowie ein spanisches C-Labor vor Ort. Die beiden Bundeswehrlabore sind an der Schule ABC-Abwehr und Gesetzliche Schutzaufgaben in Sonthofen stationiert und werden im Falle der Aktivierung der Task Force zugeordnet. Für die anstehende Regenerationen und Produktverbesserung der mobilen Labore konnten die wissenschaftlichen Beschäftigten des WIS sich bereits in der Phase des Aufbaus mit den Laborbesatzungen über Vor- und Nachteile verschiedener technischer Lösungsmöglichkeiten austauschen. Neben der Erörterung wissenschaftlich-technischer Aspekte wurde sich auch über praktische und juristische Aspekte ausgetauscht. So stellt sich sowohl für die stationären Labore des WIS als auch die mobilen Labore der Truppe die Frage, wie bspw. zukünftig Proben, Chemikalien, radioaktive Substanzen oder biologisches Material rechtskonform über nationale Grenzen verbracht werden kann. Dies ist insbesondere bei einem multinationalen Verband im Rahmen der Bündnisverteidigung eine nicht zu unterschätzende Randbedingung.

Force Integration Training auf dem Gelände des WIS

Nach erfolgreichem Abschluss der vorbereitenden Maßnahmen und dem Nachweis der Handlungssicherheit wurde die Force Integration Training (FIT)-Phase der Übung genutzt, um am WIS möglichst realistische und komplexe Szenare darzustellen. Voraussetzungen für alle Operationen in ABC-Lagen sind, dass diese grundsätzlich nur mit geeigneter, angelegter Schutzbekleidung sowie vorhandener Dekontaminationseinrichtung erfolgen können und somit zunächst die Einsatzbereitschaft hergestellt werden muss. Innerhalb des Auftrags Probenahme und Identifikation (Sampling and Identification of Biological, Chemical and Radiological Agents; SIBCRA) ist Vorsicht geboten, um Gefährdung für das eigene Personal auszuschließen und keine Proben unwiederbringlich zu zerstören. Im Verlauf der Übung zeigte sich in eindrucksvoller Weise, dass ein Verdacht auf improvisierte Sprengfallen (Improvised Explosive Devices; IEDs) die Dauer des Einsatzes nochmals um ein Vielfaches verlängern und sich selbst bei kleinräumigen Szenaren mehrere Stunden umfassen kann. Zu der hieraus resultierenden physischen Belastung kommt die psychologische Belastung, die bei einer scharfen Übung deutlich höher ist als im Training. Auch für die Mitarbeitenden des WIS bedeutete dies über Stunden im Schutzanzug als Sicherheits- und Beobachtungspersonal zu arbeiten.

Insgesamt wurden an den drei Tagen der FIT-Phase zwölf Szenarien (je 4 A-, B- bzw. C- Szenarien) dargestellt. Hierbei wurde an der Leistungsgrenze dessen, was personell und infrastrukturell möglich ist, gearbeitet. Naturgemäß benötigt die Arbeit mit gefährlichen Substanzen eine besondere Vorbereitung sowie möglichst große Abstände, um ungehindert arbeiten zu können. Um die korrekte Probenahme zu überprüfen, wurden die Proben parallel von den mobilen als auch den stationären Laboren des WIS analysiert. Die räumliche Nähe der Labore stellte eine Übungskünstlichkeit dar, die während der Übung besonders vorteilhaft war. So konnten die Ergebnisse der mobilen Labore abschließend direkt mit denen der stationären Labore des WIS verglichen, diskutiert und ausgewertet werden.

In multinationalen Einsätzen muss insbesondere die Interoperabilität der Ausrüstung betrachtet werden, da es denkbar ist, dass wie auch in der Übung am WIS der Probenahmetrupp von einer Nation, das Labor vor Ort aber von einer anderen Nation gestellt wird. Wenn dann auch noch die Dekontaminationseinrichtung von Kräften einer dritten Nation betrieben wird, stellen sich über die sprachlichen Herausforderungen hinausgehende technische und prozedurale Problemfelder.

Wichtig sind auch die Dokumentation und der Probentransport. Hier konnte das WIS seine Expertise aufgrund jahrelanger (seit 1999) Erfahrung als designiertes Labor der OPCW (Organisation zum Verbot chemischer Waffen) einbringen. Im Einsatzfall des NRF-Verbandes (NATO Response Force) besteht die Möglichkeit, dass chemische Verdachtsproben, welche durch die in „Golden Mask“ beübten Probenahmetrupps genommen und durch das mobile Labor der Task Force voruntersucht werden, zur zweifelsfreien Analyse an das WIS geschickt werden. In der Vergangenheit war dies beispielsweise 2013 im Rahmen einer UN-Untersuchung in Syrien der Fall.

Im Keller einer verlassenen kerntechnischen Anlage

Wie aus dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bekannt ist, können sich in potenziellen Einsatzräumen kerntechnische Anlagen befinden. Diese können verlassen oder durch fremde Kräfte zerstört oder vermint sein. In dem A-Szenario wurde eine verlassene Anlage, in der mit radioaktiven Substanzen gearbeitet wurde, dargestellt. Die Einrichtung wurde im Keller eines der kerntechnischen Gebäude des WIS präpariert, um eine möglichst realitätsnahe Umgebung darzustellen. Die Aufgabe des SIBCRA-Teams war es, die radioaktiven Quellen aufzuspüren und Probenahmeorte zu identifizieren.

Der Schwierigkeitsgrad des Szenarios konnte beliebig über die Art der verwendeten radioaktiven Quellen variiert werden, da verschiedene Substanzen unterschiedlich schwer zu detektieren sind. Parallel zur Ausbildung der Soldaten wurden die WIS-Mitarbeitenden über Stärken und Schwächen der eingesetzten Detektionsgeräte in einer einsatzrelevanten Umgebung ins Bild gesetzt. Um eine Eigen- und Fremdgefährdung auszuschließen, muss die Probe und das Team nach Abschluss der Probenahme am bereitstehenden Dekontaminationsplatz dekontaminiert werden.

Schlüssel zu einer guten Auswertung war das anschließende Debriefing im Szenario, bei dem Optimierungsbedarfe in Bezug auf die Ausrüstung und Ablauf aufgezeigt wurden. Insbesondere praktische Aspekte, wie die Lesbarkeit von Anzeigen durch die ABC-Schutzmaske unter schlechten visuellen Bedingungen oder akustische Warnungen in lauten Räumen, konnten so thematisiert werden. Absicht des WIS ist es diese Punkte bei zukünftigen Geräten bereits im Rüstungsprozess einzubeziehen.

Drohnenabsturz mit potenzieller biologischer Beiladung

Ein völlig anderes Szenar wurde im Bereich Biologie dargestellt: Mittels einer Drohne sollte ein potenzieller biologischer Erreger bei einer Veranstaltung im Einsatzraum ausgebracht werden. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse aus anderen Szenaren gaben hier den Hinweis auf einen biologischen Erreger. Die Drohne stürzte im Szenario vor Beginn der Veranstaltung ab, so dass sich für das eingesetzte Personal die Frage stellte, ob die aufständischen Kräfte wirklich über biologische Erreger verfügten oder die beobachtete Aktion nur der Verunsicherung diente.

Für die Expertinnen und Experten des WIS ergaben sich aus diesem Szenar Erkenntnisse über die Probenahmeausrüstung und die Dekontamination der Proben, da durch das stationäre und das mobile biologische Labor ermittelt werden konnte, ob die Proben in einem auswertbaren Zustand ankamen. Zudem ermöglichte dies auch den direkten Vergleich der Leistungsfähigkeit von mobilen und stationären Analysegeräten und somit auch eine Kontrolle der Analysequalität.

Erkundung einer abgestürzten Drohne mit potenzieller biologischer Beiladung.

Zugüberfall mit Gefahrgut in der Field-Training Phase auf dem Truppenübungsplatz Bergen

In der Field-Training Phase (FTX), der zweiten Phase der Übung „Golden Mask“, verlagerte sich das Übungsgeschehen auf den Truppenübungsplatz Bergen. Die mobilen Labore verblieben am WIS. Der hierdurch resultierende Abstand von rund 50 Straßenkilometern führte zu einer realistischen Darstellung der Lage, da sich die Labore im Ernstfall ebenfalls nicht an den zu erkundenden Einrichtungen befinden. Eingebunden in ein Szenar der Landes- und Bündnisverteidigung wurden jeweils drei Lagen dargestellt. Hierbei wurde die biologische Lage durch die zivil-militärische Zusammenarbeit der Analytischen Task Force (ATF) der Feuerwehr unterstützt. Diese ATF-Teams sind das zivile Gegenstück zu den SIBCRA-Teams in der NATO Task Force. Das ATF-Team war aus Einsatzkräften der Standorte München, Essen und Hamburg zusammengesetzt.

Im Bereich Chemie wurde ein Güterzug aufwendig mit fremdsprachigen Gefahrgutflaschen präpariert, um ein Szenario umzusetzen, bei dem alle Kräfte benötigt wurden. So konnten die tschechischen Mitarbeiter im strömenden Regen der norddeutschen Tiefebene einen Zug untersuchen und beproben sowie anschließend die Proben in das spanische und deutsche Chemielabor auf dem WIS-Gelände verschicken.

Probenahme im Güterzug beobachtet durch einen WIS-Mitarbeiter.

Ausblick

Durch die Zusammenarbeit von WIS und ABC-Abwehrtruppe bei der Zertifizierungsübung „Golden Mask 2022“ konnten unmittelbar vor der Rotation der NATO NRF Kräfte unter deutscher Federführung alle beteiligten Akteure profitieren. Für die Truppe konnten einsatznahe Szenarien mit gefährlichen Substanzen erfolgreich beübt werden, für das WIS ergaben sich in vielen Forschungs- und Rüstungsfeldern, wie Schutzausrüstung, Dekontamination, Probentransport und mobile Laborinfrastruktur Erkenntnisse und Anregungen aus der Praxis. Diese Erkenntnisse können sowohl in der Nutzungs-, als auch in der Rüstungsphase von ABC-Projekten direkten Einfluss finden. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass für den Ernstfall Prozesse und Erkenntnisse konkretisiert werden konnten, falls chemische Umweltproben auch am WIS untersucht werden sollten.

Matthias Berger, Wehrwissenschaftliches Institut für Werk- und Betriebsstoffe

Stefan Nitschke

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