Die gesellschaftspolitische Debatte über Wehrdienst, Wehrerfassung und
Wehrpflicht hat gerade erst begonnen. Es ist sicher ratsam, wenn man sich
schon jetzt auf diese nicht ganz leichte Diskussion gut vorbereitet. Die
Aufnahme zeigt ein feierliches Gelöbnis in Berlin.
Foto: Bundeswehr/Jana Neumann
Bundeswehr bietet Neueinsteigern attraktive Konditionen und berufliche Perspektiven
Die Fähigkeitsziele der Nato erfordern bei der Bundeswehr enorme Kraftanstrengungen, um insbesondere den personellen Aufwuchs erreichen zu können. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sollen die Streitkräfte inklusive der Reservedienstleistenden auf rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten aufwachsen. Dieser Personalaufwuchs besteht aus zwei Komponenten: Die Bundeswehr braucht in den nächsten acht bis zehn Jahren 260.000 Soldatinnen und Soldaten in der aktiven Truppe (zurzeit 182 .000 Frauen und Männer) und bis zum Ende des Jahrzehnts 200.000 Reservistinnen und Reservisten.
Das neue Wehrdienstmodell soll nach Angaben von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ohne Änderung des Grundgesetzes realisiert werden. Nach gegenwärtiger Planung wird das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Bei ihrer Personalplanung legt die Berliner Regierung großen Wert darauf, dass der Neue Wehrdienst – wie das schwedische Vorbild – auf Freiwilligkeit setzt.
Sollte der gewünschte Personalaufwuchs aber trotz aller Bemühungen nicht durch Freiwillige abgedeckt werden können, muss „nachgesteuert“ werden. An dieser Konsequenz darf es laut Verteidigungsminister Pistorius keinen Zweifel geben. Deshalb hat er mehrfach deutlich gemacht: „Eine verpflichtende Heranziehung wird dann möglich werden müssen, nicht auf Knopfdruck, nicht im Alleingang, nur unter konkreten Bedingungen und nur bei Zustimmung des Deutschen Bundestages.“
Auch bei der Besoldung und den Berufsperspektiven für Neueinsteiger will die Bundeswehr attraktiver werden. Schon bei kurzen Verpflichtungszeiten wird eine Besoldung von rund 2.300 Euro netto angeboten. Außerdem soll es keine Kosten für die Krankenkasse und keine Kosten für die Unterkunft geben. Angesichts der enormen Kostensteigerungen auf diesen beiden Gebieten dürften dies zwei wichtige Argumente für Interessenten sein, sich für den Dienst in der Truppe zu entscheiden. Außerdem bietet die Bundeswehr zusätzliche Qualifikationen an wie zum Beispiel Sprachkurse, Führerscheine oder IT-Lehrgänge.
Dauer des freiwilligen Wehrdienstes
Wie lange ein Interessent Wehrdienst leisten möchte, soll jeder für sich selbst entscheiden. Monatsweise bis zu 23 Monate oder (bei Eignung) sogar längere Verpflichtungszeiten bis zu 25 Jahren sind möglich. Je nach Bildungsgrad, Qualifizierung, Eignung oder Bedarf ist es unabhängig davon möglich, die Laufbahn zu wechseln und später Berufssoldat zu werden.
Modernisierung der Wehrerfassung
Damit das Verteidigungsministerium einen Überblick bekommt, wer überhaupt zur Verfügung steht und geeignet ist, sollen Wehrerfassung und Wehrüberwachung reaktiviert werden. Die Wehrerfassung sieht für Männer eine verpflichtende Befragung über deren Bereitschaft zur Leistung des Wehrdienstes vor. Alle jungen Menschen werden nach ihrem 18. Geburtstag einen Brief mit einem QR-Code erhalten, der zu einem Online-Fragebogen führt. Junge Männer sind dann verpflichtet, den Fragebogen auszufüllen. Für Personen anderen Geschlechts ist die Beantwortung der Fragen freiwillig, da sie nicht der Wehrpflicht unterliegen. In dem Fragebogen werden persönliche Daten, Verfügbarkeit, Bildungsabschlüsse und die Bereitschaft zum Wehrdienst abgefragt.
Ab 1. Juli 2027 sollen dann alle Wehrpflichtigen einer verpflichtenden Musterung unterzogen werden. Durch die Musterung wird zum Beispiel festgestellt, ob die Person geeignet und tauglich ist. Diese Befragung soll den Personalplanern im Ministerium helfen, ein realistisches Bild über Eignung und Qualifikation der Wehrpflichtigen zu erhalten.
Personalaufwuchs durch Freiwilligkeit wohl nicht zu erreichen
Für die 2011 beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht hatte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sicher gute Gründe. Politische Beobachter haben aber schon jetzt Zweifel, ob es gelingen kann, den Personalaufwuchs durch Freiwilligkeit zu erreichen. Russlands Angriff auf die Ukraine und das strategische Ziel von Präsident Wladimir Putin, die bestehende Sicherheitsarchitektur in Europa zu verändern, haben die Bedrohungslage dramatisch verändert. Das Verteidigungsministerium wird gut beraten sein, wenn es sich schon jetzt auf eine gesellschaftspolitische Debatte über Wehrdienst, Wehrerfassung und Wehrpflicht vorbereitet. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die jüngere Generation nicht allein durch sachliche Argumente, Zahlen, Daten und Fakten, sondern insbesondere durch positive emotionale Erfahrungen im persönlichen Gespräch mit der Bundeswehr gewonnen werden kann.
Dr. Theodor Benien ist freier Mitarbeiter der wt.