Interview mit Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

11/02/2022

Sanitätsdienst ist stark gefordert: Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, im Gespräch mit Chefredakteur Stefan Nitschke am 25. Januar 2022.

Annähernd 20.000 Soldatinnen und Soldaten tun beim Sanitätsdienst der Bundeswehr Dienst und leisten im dritten Jahr der Corona-Pandemie Unglaubliches. Der eigentliche Auftrag geht inzwischen weit über die Grenzen des eigenen Organisationsbereichs hinaus. Das zeigen die Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Operation „Kleeblatt“ zum Ende des vergangenen Jahres. Aber auch die Orientierung hin zur Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) erfordert einen deutlichen Aufwuchs des Sanitätsdienstes in allen Leistungsbereichen. War die Ausrichtung der Bundeswehr – und somit des Sanitätsdienstes – in den zurückliegenden Jahren zunehmend auf den Auftrag des Internationalen Krisenmanagements (IKM) ausgerichtet, so ergeben sich jetzt neue Koordinaten im Kontext neuer besorgniserregender Bedrohungen. Bislang reichen die Ressourcen aber nicht aus, um Krisen und Bedrohungen schnell und nachhaltig bewältigen zu können. Die Anforderungen von Nato und EU sprechen eine klare Sprache: Bei einem erhöhten Patientenaufkommen im Szenario LV/BV kommt der Patientensteuerung eine Schlüsselrolle zu. Das hatte der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, schon im letzten Jahr im Gespräch mit der wt gesagt und davor gewarnt, dass die besten Planungen aber nichts bringen, wenn nicht die Strukturen mit genügend Personal aufgefüllt werden können. Bei einem wt-Interview am 25. Januar fasste der Generalarzt zusammen, dass die Agenda Personal mit weiteren Anpassungen bei der Aus- und Weiterbildung ganz zuoberst angesiedelt sein muss, um – auch bei den üblichen Verdrängungseffekten bei der Nachwuchsgewinnung – eine zuverlässige und hochwertige Unterstützung für die Aufträge der Bundeswehr leisten zu können. Denn: Die Orientierung auf die neue Lage gelingt nur mit einem großen Aufgebot an erstklassig ausgebildetem und in multinationaler Zusammenarbeit konsequent weit entwickelten Personalapparat.

Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner im Gespräch mit wt-Chefredakteur Stefan Nitschke. (Foto: Mönch-Archiv/Volker Schwichtenberg)

wt: Herr Generalarzt, Sie sind seit dem 25. September 2018 der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Annähernd 20.000 Soldatinnen und Soldaten tun in diesem Organisationsbereich Dienst und leisten im zweiten Jahr der Corona-Pandemie Unglaubliches. Der eigentliche Auftrag geht inzwischen weit über die Grenzen des eigenen Organisationsbereichs hinaus. Wie interpretieren Sie die Rolle des Sanitätsdienstes vor dem Hintergrund der sich seit dem Herbst 2021 erneut verschlechternden Pandemielage in Deutschland?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Der Sanitätsdienst ist von der Corona-Pandemie in mehrfacher Hinsicht direkt betroffen. Wir behandeln die Zivilbevölkerung in unseren Bundeswehrkrankenhäusern und leisten vielfältige Unterstützung im Rahmen der Amtshilfe. So betreiben wir mit unserem Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial in Quakenbrück die zentrale Drehscheibe der deutschen Impfstofflogistik. Parallel erfüllen wir unseren Kernauftrag für die Bundeswehr – ambulant, stationär und in den Einsatzgebieten. In den Überwachungsstellen, in unseren Instituten und Forschungseinrichtungen wird jeden Tag Großartiges im Kampf gegen das Virus geleistet. Es sind vor allem die Menschen mit ihrer Professionalität und ihrer Fähigkeit vernetzt zu denken und zu handeln, die den Sanitätsdienst zu dem Gesundheitssystem machen, dessen Leistungsfähigkeit weltweit anerkannt wird. Diese Krise hat dies für die Bundeswehr insgesamt, ja für ganz Deutschland konkret sichtbar gemacht. 

Die Bundesministerin der Verteidigung Christine Lambrecht wird am Haupteingang des BundeswehrZentralkrankenhauses durch den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr empfangen. (Foto: Bundeswehr/Patrick Grüterich)

wt: Sie waren auch eingebunden in die Operation „Kleeblatt“. Wie hat sich das entwickelt?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Wir hatten im letzten Jahr darauf hingewiesen, dass Deutschland in eine Situation geraten könnte, in der regional die Krankenhauskapazitäten erschöpft sind und Erkrankte überregional verlegt werden müssen. Das so genannte Kleeblattsystem war dann zwischen den Ländern und dem Bund vereinbart worden, um solche Situationen bewältigen zu können. Wir mussten dies zum Glück erst kurz vor Weihnachten erleben. Die Verlegungen, die dann erforderlich waren, haben weitgehend gut funktioniert. Ungefähr ein Viertel der Verlegungen wurden durch die Bundeswehr realisiert, wobei der Patiententransport durch das bewährte Koordinationszentrum in meinem Kommando in Koblenz organisiert, gesteuert und durch Fachpersonal des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Verbindung mit der Luftwaffe umgesetzt wurde.

wt: Welche Auswirkungen hat die Pandemieentwicklung auf die Gesundheitsversorgung in unseren Streitkräften und welche bewährten Konzepte und Instrumentarien stehen Ihnen zur Bewältigung dieser Herausforderungen zur Verfügung?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir uns folgende Fragen stellen müssen: Welche möglicherweise neuartigen Herausforderungen kommen in der Zukunft auf uns zu? Müssen wir mehr präventive Arbeit leisten? Nicht nur für die bekannten Szenarien, sondern beispielsweise auch für hybride Bedrohungen. Sind wir gut genug bei einem Massenanfall von Patienten aufgestellt, sei es durch eine Pandemie oder durch andere Ereignisse, sei es in der konkreten Therapie oder in der Bewältigung von Gesundheitskrisenlagen? Ich denke, da müssten wir in vielen Bereichen Fähigkeiten und Kapazitäten anpassen. Darüber hinaus stellt sich die Frage: Sind wir materiell ausreichend vorbereitet, wie steht es um die Bevorratung von medizinischem Material? Hier haben wir bisher zu wenig Ressourcen, um Krisen und Bedrohungen schnell und nachhaltig bewältigen zu können.

Einschränkungen der Pandemie, die wir bisher zu verzeichnen hatten, betreffen am ehesten Teile des Ausbildungsbetriebes. Allerdings haben wir es weitgehend geschafft, dass Einsatzausbildung und laufbahnrelevante Lehrgänge unter Beachtung der angeordneten Schutzmaßnahmen durchgeführt werden konnten.

Wunderwerk der Technik: Mit dem robotergestützen Photonen-Computertomographen ist das BundeswehrZentralkrankenhaus ein Vorreiter. Bisher arbeiten nur wenige Krankenhäuser weltweit mit dieser innovativen Technik. (Foto: Bundeswehr/Patrick Grüterich)

wt: Wie kooperieren Sie mit zivilen Einrichtungen?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Der Sanitätsdienst der Bundeswehr muss stets das Ziel vor Augen haben, dass vor allem auch das Personal für Einsätze vorbereitet ist. Dafür sind wir da. Um im Einsatz bestehen zu können, müssen unsere Soldatinnen und Soldaten extrem gut ausgebildet werden. Fähigkeiten und Professionalität auf hohem Niveau sind aber nur machbar, wenn permanent ausgebildet und trainiert wird. Dies gilt im Fall des Sanitätsdienstes vor allem auch für die fachliche Exzellenz. Dafür haben wir vor allem unsere Bundeswehrkrankenhäuser. Dort bilden wir ständig hochqualifiziertes Personal für die Einsätze aus. Dazu muss das medizinische Fachpersonal im täglichen Betrieb immer wieder vor komplexe und schwierige Aufgaben gestellt werden. Darum stellen wir unsere hohe fachliche Expertise im Bereich der Medizin der Zivilbevölkerung zur Verfügung und profitieren im Gegenzug dadurch, dass wir unser hohes Ausbildungsniveau erhalten. Das bedeutet auch Teilhabe an der universitären Medizin mit den Anteilen Forschung und Lehre.

Im Fall eines konkreten Einsatzes in der Landes- und Bündnisverteidigung wird ein Teil unseres Fachpersonals aus den Krankenhäusern in der Versorgung der verwundeten Soldatinnen und Soldaten am Einsatzort eingesetzt. Dadurch wird die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser in dieser Zeit eingeschränkt. Wenn dann die im Einsatzgebiet erstbehandelten Soldaten dann zurück nach Deutschland verlegt werden, sind Behandlungskapazitäten erforderlich, die die Möglichkeiten der Bundeswehrkrankenhäuser deutlich übersteigen. Deshalb arbeiten wir daran, zivilmilitärische Cluster von Krankenhäusern zu bilden, also mit geeigneten zivilen Kliniken schon heute gezielt zusammen zu arbeiten und uns auf solche Szenarien vorbereiten. Die Berufsgenossenschaftlichen Kliniken sind hierbei bereits ein idealer und enger Kooperationspartner.

Im Februar 2021 hatte der Sanitätsdienst der Bundeswehr 26 Sanitäterinnen und Sanitäter in die portugiesische Hauptstadt Lissabon entsandt, um dort bei der Bewältigung der Corona-Pandemie zu unterstützen. Der Inspekteur des Sanitätsdienstes und der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, vor dem Hilfseinsatz für Portugal Anfang Februar in Wunstorf. (Foto: Bundeswehr/Oberstleutnant Kieron Kleinert)

wt: Die Auslandeinsätze kamen für die Bundeswehr in den 1990er Jahren hinzu und haben die Landes- und Bündnisverteidigung etwas in den Hintergrund gedrängt. Gibt es die alten Strategien für die Landes- und Bündnisverteidigung noch? Könnten diese wieder aktiviert werden?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: In der Zeit des Kalten Krieges haben wir uns sehr stark auf eine Reserve-Lazarett-Organisation mit vielen tausend Betten abgestützt. Damals wurde Material für 1000-Betten-Krankenhäuser eingelagert, die wir in großen Gebäuden aufgebaut hätten. Dazu hätte man eine große Anzahl zivilen medizinischen Personals aus dem zivilen Gesundheitssystem abgezogen, um dieses in den Lazaretten in jeweils einer Behelfsinfrastruktur einzusetzen. Das war die Grundlage unserer sanitätsdienstlichen Planung und dies bestand so über Jahrzehnte. In dieser Struktur hätten wir rückblickend nach meiner Meinung im Ernstfall keine adäquate medizinische Versorgung leisten können. Unter der Annahme einer kompletten Einbeziehung des gesamten Staatsgebietes und damit der Gesellschaft in die Kampfhandlungen wäre aber auch das zivile Gesundheitswesen deutlich eingeschränkt gewesen. Die Abstützung der sanitätsdienstlichen Versorgung weitestgehend auf Reservestrukturen hätte das zivile Gesundheitssystem aber noch weiter geschwächt.

In den 1990er Jahren erfolgte dann die Hinwendung zur Befähigung von Einsätzen zur Krisenbewältigung, der Einsatz im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung wurde nachrangig. Die alten Strukturen wurden aufgelöst, das alte Material wurde abgesteuert. Unsere Vorratsumfänge wurden deutlich – im Blick auf die Herausforderung der Pandemie und der neuen Aktualität von Landes- und Bündnisverteidigung zu deutlich – reduziert. Wenn wir jetzt wieder neu über die Befähigung der deutschen Streitkräfte und insbesondere des Sanitätsdienstes für die Landes- und Bündnisverteidigung nachdenken, steht für mich fest: Es kann in der heutigen Zeit, unter Berücksichtigung heutiger Rahmenbedingungen, keine Lösung sein, die alten Reservelazarettstrukturen wieder neu aufzubauen. Deshalb planen wir die Versorgung unserer Verwundeten im Heimatland durch einen Verbund der Bundeswehrkrankenhäuser mit geeigneten zivilen Krankenhäusern hier in Deutschland. Durch die Ertüchtigung vorhandener Infrastruktur und ggf. durch gezielte personelle Verstärkung – hier werden wir uns auch zukünftig auf Nicht-aktive-Strukturen abstützen – kann eine effiziente und leistungsfähige Versorgung im zivil-militärischen Zusammenwirken sichergestellt werden.

Der Lagercontainer der mobilen Sauerstofferzeugungs- und -abfüllanlage umfasst nach dem Aufbau den Lagerungscontainer mit Wetterschutz und Sonnensegel sowie den Sauerstoffvorrat in Transportkisten. Eine Anlage wie diese war im Einsatz in Indien. (Grafik: Fitz Stephan GmbH)

wt: Damit ändern Sie auch die Ausbildungskonzepte im medizinischen Bereich?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Die Ausbildungskonzepte insgesamt entwickeln sich ständig weiter. Wir versuchen, die Qualität der Erste-Hilfe-Ausbildung für militärisches Personal immer weiter zu optimieren, damit eine sehr gute Erstversorgung gewährleistet ist. Dann erweitern wir die Kompetenzen unserer Feldwebel, z. B. der Notfallsanitäter, insofern, dass sie beispielsweise auch Medikamente verabreichen oder kleinere Eingriffe vornehmen können, die im normalen Betrieb hier in Deutschland so nicht vorgesehen sind. Das muss unser Personal im Rahmen einer Notkompetenz im Einsatz können und das müssen wir entsprechend auch ausbilden. Bei den Truppenärzten legen wir viel Wert auf eine fundierte rettungsmedizinische Kompetenz und die Erweiterung der Facharztausbildung. Auch die klinischen Fachgebiete berücksichtigen in ihrer Ausbildung den Bedarf für die Kompetenzen, die im Einsatz gefordert sind. So gehen wir nicht den Weg der immer stärkeren Spezialisierung, sondern fördern eine breitgefächerte Kompetenz unserer Kliniker. Ein Anästhesist muss im Einsatz das gesamte Spektrum der Anästhesie beherrschen, ein Chirurg muss in gewissem Maße noch Allrounder sein. Deshalb werden unsere Chirurgen zunächst alle zu Allgemeinchirurgen ausgebildet und spezialisieren sich dann noch einmal in mindestens einem Spezialfach und halten sich in einem breiten Spektrum ständig in Übung.

Die Rettungskette ist ein wesentlicher Bestandteil der Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (Grafik: Bundeswehr/Patrick Grüerich)

wt: Wird so gut ausgebildetes Personal nicht auch durch zivile Einrichtungen abgeworben?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Wir haben eine sehr gute Bewerberlage. Es gibt viel mehr Bewerberinnen und Bewerber als wir Dienstposten haben. Wir haben zudem eine lange Verpflichtungszeit. Ich habe sehr viel Personal, das sich darüber hinaus weiterverpflichtet. Mit der qualitativ hochwertigen Ausbildung und der Einsatzerfahrung sind diese Menschen natürlich für den zivilen Markt sehr attraktiv. Es gibt deshalb natürlich Abwanderungen in den zivilen Bereich. Gleichzeitig erlebe ich aber auch, dass Menschen aus zivilen Kliniken zu uns kommen, weil unsere Rahmenbedingungen sehr interessant sind. Wir sind in der Ausbildung und bei Fort- und Weiterbildungen unseres Personals sehr attraktiv und wir praktizieren eine Medizin, die nicht primär wirtschaftlich ausgerichtet ist, sondern ihren Schwerpunkt in der Lehre und Ausbildung hat. Wenn jemand Freude daran hat, wissenschaftlich hochwertige Medizin zu betreiben und diese Erkenntnisse weiter zu vermitteln, dann ist der Sanitätsdienst der Bundeswehr die richtige Adresse. Wir versuchen natürlich immer, aus dem eigenen Bereich Personal zu fördern, wir haben aber auch keine Probleme, für vakante Dienstposten externes Personal zu gewinnen. Wir sehen zudem, dass wir mit unserer Arbeit und unseren Fähigkeiten im zivilen Bereich eine große Akzeptanz erfahren. Ein Beispiel dafür ist, dass die Klinikdirektoren der Unfallchirurgie im Bundeswehrkrankenhaus Ulm und der Urologie im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz derzeit Präsidenten der jeweiligen zivilen Fachgesellschaft sind. Fest steht: Ohne Qualität keine Akzeptanz! Wir können stolz darauf sein, dass wir uns mit unserer Kompetenz, mit unserer Leistung und unseren spezifischen Erfahrungen als Partner der zivilen Fachgesellschaften etabliert haben.

wt: Wie hat sich denn das Krankenhausführungssystem weiterentwickelt?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Die Pandemie hatte zwei wesentliche Beschleunigungseffekte bei der Digitalisierung der Bundeswehr. Einmal bei der Ausweitung der Möglichkeiten des ortsunabhängigen Arbeitens und dann vor allem bei der Durchführung der Ausbildung, die sich zunehmend auch virtuell gestaltet. Dies hatte sogar Auswirkungen auf die Gestaltung der militärischen Grundausbildung, die wir in den letzten Jahren ebenfalls zu einem Teil im „Homeschooling“ durchgeführt haben. Gerade bei der Allgemeinen Grundausbildung ist dies der Notwendigkeit geschuldet, Präsenzphasen möglichst zu minimieren, scheint mir aber eher keine Zukunftsperspektive. Aber viele Lehrgänge, fachliche Ausbildungsgänge und Weiterbildungen können komplett oder zumindest in einem hohen Anteil in digitalisierter Form in der Distanz zum Unterrichtenden realisiert werden. Das ist eine gute Entwicklung. Die Pandemie hat hier tatsächlich einen positiven Effekt.

Zurück zu Ihrer Frage: Die Digitalisierung des Gesundheitssystems ist ja auch im zivilen Gesundheitssystem ein großes und wichtiges Thema. Hier sind in den letzten Jahren viele auch gesetzliche Auflagen und Vorgaben entstanden, die auch wir im Sanitätsdienst der Bundeswehr beachten müssen. In diesem Bereich hatte die Pandemie leider keinen entsprechenden Effekt, so dass ich in der Digitalisierung des Gesundheitssystems der Bundeswehr, damit auch der Krankenhäuser, aber noch mehr im Bereich der truppenärztlichen Versorgung und der Gesundheitslage, weiterhin erheblichen Nachholbedarf konstatieren muss.

Ich habe den Eindruck, dass wir oft weniger an Digitalisierung von Prozessen denken, als an Entwicklung und Beschaffung von einzelnen IT-Unterstützungsprojekten. Die Digitalisierung ist aber mehr als nur die Beschaffung von IT. Deshalb muss die Digitalisierung im Gesamtzusammenhang gesehen werden. Der Sanitätsdienst hat deshalb als erster Organisationsbereich eine Gesamtarchitektur der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung erarbeitet. Diese muss jetzt auch die Grundlage für die gezielte Umsetzung von Digitalisierungsschritten werden. Die Vorteile einer umfassenden Digitalisierung des Gesundheitswesens mit digitaler Gesundheitsakte und damit einer sektorenübergreifenden Dokumentation und Verfügbarkeit der wichtigen Gesundheitsdaten an den Stellen, an denen diese Daten zur Behandlung der Soldaten gebraucht werden, sind evident.

Eine Rettungsstation der Bundeswehr besteht aus einem Trägerfahrzeug mit einem geschützten Container und angeflanschten Zelt sowie einem Anhänger als Versorgungspalette. (Foto: Bundeswehr/Patrick Grüterich)

wt: Gehen Sie bei der Digitalisierung Hand in Hand mit dem zivilen Bereich?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Das zivile Gesundheitswesen und die entsprechende Gesetzgebung sind unbestritten die Taktgeber für die Digitalisierung auch des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Wenn es darum geht gesetzliche Dokumentationsauflagen der Behandlungsverläufe zu erfüllen, elektronische Arztbriefe und Rezepte nutzen zu können, digitale Weiterbildungsnachweise als Grundlage für die Anerkennung von Qualifikationen des Fachpersonals erstellen und führen zu können, und nicht zuletzt die erbrachten Leistungen auch nachweisen und abrechnen zu können, haben wir deutlichen Handlungsdruck. Wenn wir hierbei nicht den Anschluss halten, werden wir mittelfristig die Qualität unserer Einrichtungen und unseres Personals nicht halten können.

wt: Qualität halten bedeutet auch, weiterhin qualifiziertes Personal zu gewinnen?

Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner: Ja, Qualität lässt sich nur durch ausreichend qualifiziertes und motiviertes Personal halten. Der Erhalt oder der Ausbau der Attraktivität unseres Sanitätsdienstes für entsprechendes Personal ist deshalb absolut zukunftsrelevant. Derzeit haben wir noch kein Personalproblem, auch kein Bewerberproblem, aber das ist nur eine Momentaufnahme. Durch die Pandemie wurden in vielen Bereichen Lücken im zivilen Gesundheitssystem erkennbar, die gefüllt werden müssen. Da müssen wir aufpassen, dass unser Potenzial für die Gewinnung und den Erhalt von Personal nicht darunter leidet. Wir stellen uns deshalb z. B. der Frage der Akademisierung der medizinischen Fachberufe und müssen diese deutlich voranbringen. Damit ist dann in unserem System eine Veränderung der Laufbahnstruktur verbunden, wenn wir zukünftig mehr Personal mit einem dualen Studium in diesen Aufgabenbereichen haben werden. Die Förderung der medizinischen Fachberufe ist eine Frage der Attraktivität und nicht zuletzt der Wertschätzung dieser unverzichtbaren Stützen der Leistung im Gesundheitssystem. Diese Dinge müssen wir im Blick haben. Wir müssen also stets vorausschauend planen und handeln, um für alle Fälle gewappnet zu sein.

Interview: Stefan Nitschke

Stefan Nitschke

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